Trotz Krise: Logistiker halten an Nachhaltigkeitszielen fest

Alles im grünen Bereich? Oder bremst die Krise Investitionen in zukunftswirksame Projekte, die Umwelt und Klima schützen, aus? Eine Momentaufnahme zur Nachhaltigkeitslage der deutschen Logistik-Nation.

Das Waldsterben stoppen:
Reber Logistik pflanzt Bäume
an der polnischen Grenze. (Foto: Reber Logistik)

Nachhaltigkeit wird von Unternehmen der Transport- und Logistikbranche als Topherausforderung angesehen und hat in ihrer Bedeutung im Laufe des Jahres 2022 tendenziell noch zugenommen“, sagt Ulrich Balke, Director Markets bei der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft KPMG. Das habe die Befragung von Entscheidern aus der Transport- und Logistikbranche im Rahmen des KPMG Future Readiness Index 2022, die im vergangenen Jahr durchgeführt wurde, zutage gefördert.

„Selbstverständlich fordern Krisen eine verstärkte Aufmerksamkeit von Unternehmen, sie haben jedoch keinen dauerhaften Einfluss auf die stetig zunehmende Bedeutung von Nachhaltigkeit angesichts neuer Regularien wie dem Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG) und der im November 2022 vom EU-Parlament beschlossenen EU-Richtlinie Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD)“, so Balke.

Sind Deutschlands Logistiker damit Getriebene sich kontinuierlich verschärfender Handlungsvorschriften, oder sehen sie sich selbst als Treiber vorbildlicher Maßnahmen, die dem Wohl unseres Planeten dienen? Und: Wie konsequent halten Branchenunternehmen trotz herausfordernder Zeiten an der Umsetzung ihrer Nachhaltigkeitsziele fest?

Nicht verhandelbar

Mit KI-optimierter Disposition will Cretschmar Cargo Süd
CO2-Emissionen deutlich reduzieren. (Foto:CCS)

„Nachhaltigkeit ist kein Trend“, sagt Mirko Kauffeldt, Geschäftsführer des Germersheimer Möbel- und Kontraktlogistikers Reber Logistik. „Nachhaltigkeit ist für uns ein nicht zu verhandelndes Unternehmensprinzip.“ Niemand könne es sich heute leisten, auf Kosten der Umwelt Profite zu erwirtschaften. Deshalb seien CO2-Zertifikate für ihn auch keine wirklich überzeugende Lösung, um Nachhaltigkeitsziele zu erreichen: „Unsere Intention ist es nicht, das Recht auf Luftverschmutzung zu erwerben, sondern einen sichtbaren Beitrag zum Umweltschutz und zur Klimafreundlichkeit unseres Unternehmens zu leisten“, ergänzt Kauffeldt.

Bereits seit einem Jahr beziehen die fünf Deutschland-Standorte von Reber ausschließlich Ökostrom. Zum Fuhrpark, der aktuell 107 Fahrzeuge umfasst, gehören 10 mit Erdgas – LNG und CNG – betriebene Lkw und seit 2021 ein Lang-Lkw, der mit 25,25 Metern Länge eine höhere Auslastung pro Transportkilometer ermöglicht. Auch als die Gaspreise durch die Decke gingen, hat Reber am Betrieb seiner LNG-Lkw festgehalten. „Uns ist klar, dass wir dabei draufgelegt haben, aber diesen Preis zahlen wir gern.“

Mit der Pflanzung von 60.000 Bäumen will der Logistiker in den kommenden fünf Jahren den CO2-Ausstoß seiner Fahrzeugflotte vollständig kompensieren. 24.000 Rotbuchen und Stileichen wurden bereits auf einem 8 Hektar großen Waldstück in der Gemarkung Grunow, im brandenburgischen Landkreis Oder-Spree, gesetzt, einer Fläche, die das Unternehmen für 100 Jahre gepachtet hat.

Konkrete Ziele für ihre Nachhaltigkeitsprogramme formulieren auch andere Logistiker. So will die Düsseldorfer Spedition Cretschmar Cargo Süd (CCS) ihre CO2-Emissionen im europäischen Warenverkehr, begonnen 2022, pro Jahr um 8,5 Prozent senken. Bis zum Jahr 2030 soll der Ausstoß schädlicher Treibhausgase in den internationalen Lieferketten, die das Unternehmen für seine Kunden steuert, um die Hälfte reduziert werden. Bislang nutzt das Unternehmen zur Ermittlung der Emissionen den CO2-Rechner der Log-IT-Plattform der System Alliance Europe.

KI optimierte Disposition

„Trotz der angespannten geopolitischen Lage dürfen wir die Nachhaltigkeitsziele der EU nicht aus den Augen verlieren“, sagt Oliver Rüter, geschäftsführender Gesellschafter bei Cretschmar Cargo Süd (CCS). Grüne Logistik sei für die Branchenunternehmen längst kein Nice-to-have mehr, sondern ein Must-have. „Wer in Ausschreibungen keine konkreten Umweltmaßnahmen benennen kann, ist weg vom Fenster“, berichtet Rüter.

Zum Programm, das CCS mit dem „Project 8,5%“ in seinen Niederlassungen gestartet hat, zählen vier Handlungsfelder. Neben der zertifizierten Berechnung von CO2-Emissionen, die der Logistiker mit Hilfe von Dienstleistungspartnern exakt ermitteln will, zieht das Unternehmen die Nutzung europäischer Förderprogramme in Betracht und will außerdem in konkrete Maßnahmen zur Reduzierung von Treibhausgasen investieren.

So sollen im Nahverkehr Elektrofahrzeuge genutzt werden und, „wann immer sinnvoll und möglich“, intermodale Verkehre zum Einsatz kommen, so Rüter. Die verbesserte Auslastung der Transporte durch KI-optimierte Disposition habe man bereits vor einem Jahr in Angriff genommen. „Als Mitglied der System Alliance Europe steht uns für die Digitalisierung der Supply Chain eine ganze Reihe von IT-basierten Optimierungsfunktionen zur Verfügung, die zur Reduzierung von Leerfahrten und Abgasemissionen beitragen und mit denen sich die Verschwendung von Ressourcen vermeiden lässt“, so Rüter. „Was wir im Rahmen unserer Möglichkeiten machen können, machen wir auch.“

Einheitliche Standards

Leichter wird der Weg dorthin mit IT-Lösungen, die es Transport- und Logistikunternehmen ermöglichen, ihre CO2-Emissionsdaten für Fracht- und Logistikoperationen auf Basis einheitlicher Standards zu ermitteln, wie sie vom Smart Freight Centre (SFC) mit dem Global Logistics Emissions Council (GLEC) Framework definiert worden sind.

„Industrie und Handel fordern von Logistikdienstleistern zunehmend den Nachweis von CO2-Emissionen auf Basis des GLEC-Framework“, berichtet Volker Albrecht, CEO von Siemens Digital Logistics. Der Digitalisierungsspezialist ist seit Dezember 2022 selbst SFC-zertifiziert und liefert Logistikern somit Daten, die methodisch mit dem GLEC-Framework übereinstimmen.

Mit Hilfe des zertifizierten Berechnungsmodells kann unter anderem ermittelt werden, wie viele Treibhausgase bei vergangenen Transporten freigesetzt wurden. Für anstehende Einzeltransporte lässt sich ad hoc bewerten, welche Transportoption nicht nur am günstigsten oder schnellsten, sondern auch am klimafreundlichsten ist. Und auch im Rahmen der Netzwerk- oder Transportplanung lassen sich Emissionsdaten optimal berechnen, erläutert Albrecht.

Doch nicht nur Transporte sind für Logistikunternehmen eine wichtige Stellschraube, um umweltfreundlicher unterwegs zu sein. Auch die Planung und der Betrieb von Logistikzentren rücken im Kontext von EU-Taxonomie, Lieferkettengesetz und CSRD-Richtlinie mehr und mehr ins Zentrum unternehmerischer Handlungsoptionen.

Fullfilment-Center für grünen Strom

Bei TST geht es nicht
nur um effiziente Energietechnik bei neuen Logistikimmobilien, sondern
auch um nachhaltiges Engagement für die Umwelt. (Foto: TST)

„Die Logistikimmobilie wird zur Projektionsfläche für zukunftsweisende Konzepte. Sie entwickelt sich zum Fulfillment-Center, das grünen Strom produziert, Ressourcen schont und am Ende ihrer Tage ein neues Leben beginnt“, beschreibt Dany Brodhag, Geschäftsführer der Goldbeck-Tochter GSE Deutschland. „Die moderne Logistikimmobilie qualmt und raucht nicht, sie macht keinen Dreck und präsentiert sich als Musterknabe in Sachen Nachhaltigkeit – mit Sickergruben für die Rückversorgung des Grundwassers, mit Fassadenventilatoren, die Windenergie erzeugen, mit Pumpen, die Erdwärme fördern, mit Grünbändern, die Fassaden zu städtischen Biosphärenreservaten machen, mit PV-Dächern, die Energie zur Produktion grünen Wasserstoffs liefern.“

„Wir planen und bauen neue Logistikzentren grundsätzlich nach hohen und höchsten Standards der Deutschen Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen (DGNB)“, betont Frank Schmidt, Gründer und Geschäftsführer von TST. Bei dem Wormser Logistiker, der 80 Logistikstandorte in Deutschland, Europa und den USA betreibt, sind Nachhaltigkeitskriterien eine feststehende Planungsgröße.

Deutlich wird dies bei einem Blick in die Bauplanung von neuen Logistikimmobilien.

Zur Beheizung von Büros und Hallen eines im Bau befindlichen Standortes für ein führendes Weltunternehmen der Pharmaziebranche ist eine Wärmepumpenanlage mit natürlichem Kältemitteleinsatz (Propan) in Planung, zur Stromgewinnung eine PV-Anlage sowie die Nutzung von Windenergie. Verbaut werden außerdem Ladesäulen für E-Fahrzeuge. Im Außenbereich stellen Sickermulden für die Rückversorgung des Grundwassers und eine umfangreiche Begrünung der Außenanlage den Schutz der Natur sicher. „Unser aktuelles Projekt wird eines der modernsten, umweltfreundlichsten und nachhaltigsten Bauvorhaben, das wir je in die Welt gesetzt haben“, kommentiert Schmidt das Projekt.

Effiziente Energietechnik

Das Nachhaltigkeitsengagement betrifft aber auch ältere Bestandsimmobilien des Logistikers. „Wo immer möglich, rüsten wir bestehende Objekte mit effizienter Energietechnik und PV-Anlagen zur Stromgewinnung nach.“

Darüber hinaus engagiert sich der Logistikunternehmer in einem von der Stadt Worms gegründeten „Wasserstoffrat“: Bis 2024 will die Stadt eine H2-Infrastruktur für grünen Wasserstoff etablieren, der unter anderem aus Windkraft und Biomasse gewonnen werden soll. Ob TST in Zukunft Wasserstoff tankt oder aber in die Versorgungslogistik von H2 eingebunden wird, sei allerdings noch offen. „Wir wollen zunächst testen, ob sich Wasserstofffahrzeuge bei Shuttlefahrten und auf der Kurzstrecke bewähren“, berichtet Schmidt.

Wie wichtig es ist, Nachhaltigkeit zum verpflichtenden Grundsatz unternehmerischen Handelns zu machen, verdeutlicht KPMG-Marktexperte Balke: „Während zuvor meist Risiken im Zusammenhang mit finanzieller Stabilität und dem operativen Geschäft im Fokus standen, treten nun Menschenrechts- und umweltbezogene Risiken in den Vordergrund.“ Gleichzeitig werde es für den langfristigen Erfolg der Branchenteilnehmer entscheidend sein, eine starke Governance- und Compliance-Struktur zu implementieren. Balke: „Verstöße gegen Richtlinien können zu Reputationsschäden und hohen Kosten führen.“

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