„Eine Pkw-Maut ist sachgerecht“

DVZ: Herr Schulz, Sie sind seit März 2019 Geschäftsführer von Toll Collect und scheiden Ende Februar aus. Welche Bilanz ziehen Sie?
Gerhard Schulz: Wir haben viel geschafft. Toll Collect hat sich vom Privatunternehmen zum leistungsstarken, modernen Technologiedienstleister des Bundes entwickelt. Ursprünglich hatte Toll Collect den Auftrag, ausschließlich das Mautsystem zu betreiben und weiterzuentwickeln. Heute sind wir neben unserem Kerngeschäft Maut auch in weiteren Geschäftsfeldern unterwegs. Die Grundlage dafür sind oft Mautdaten, deren Nutzung zur intelligenten Steuerung des Verkehrs beitragen kann. Wir haben an der Unternehmenskultur gearbeitet – mit einem Wertekompass als Fundament. Die agile Transformation, die wir umgesetzt haben, ermöglicht schnellere Reaktionen und mehr Flexibilität. Damit ist Toll Collect zukunftsfähig aufgestellt und bereit für weitere Aufgaben.
Wie hat sich Toll Collect wirtschaftlich entwickelt?
Die Übernahme von Toll Collect durch den Bund im Jahr 2018 war strategisch und wirtschaftlich die richtige Entscheidung. Wir unterschreiten deutlich die Kosten, die der Bund bei einer Übernahme durch private Eigentümer erwartet hatte. Unser jährlicher Überschuss beträgt 10 bis 12 Millionen Euro. Sie fließen in unser Eigenkapital und stehen dem Bund zur Verfügung.
Wie hoch waren im vergangenen Jahr die Einnahmen aus der Lkw-Maut?
Sie korrespondieren mit der wirtschaftlichen Entwicklung. Und diese war 2024 deutlich schlechter als von der Bundesregierung erwartet. Die Einnahmen lagen bei rund 13 Milliarden Euro und damit etwa 2 Milliarden unter den im Haushalt eingeplanten 15 Milliarden Euro. Auch in der Gewichtsklasse zwischen 3,5 und 7,5 Tonnen sind die Einnahmen geringer als erwartet.
Warum?
In diesem Segment war unklar, wie viele der Fahrzeuge zwischen 3,5 und 7,5 Tonnen tatsächlich im Güterverkehr unterwegs sind. Ich denke, die Zahlen hat man überschätzt, und man muss sie nochmal kritisch hinterfragen – auch mit Blick auf die auch schon in der Vergangenheit geführte Debatte, ob die Maut bereits für Fahrzeuge ab 2,5 Tonnen gelten sollte.
Angesichts der Finanzierungslücken wird immer mal wieder die Pkw-Maut ins Gespräch gebracht. Sehen Sie eine Chance auf eine Neuauflage?
Die Nutzerfinanzierung wird nach meiner persönlichen Einschätzung langfristig auch im Pkw-Bereich eine Rolle spielen. Seit der Einführung der Lkw-Maut im Jahr 2005 haben wir immerhin fast 100 Milliarden Euro für den Bund eingenommen. Sachlich und fachlich kommt man um das Thema nicht herum. Es geht um die große Frage, wie der Staat langfristig, dauerhaft und sicher die Verkehrsinfrastruktur finanziert – und zwar unabhängig von der Jährlichkeit des Haushalts. Dazu könnte die Pkw-Maut, auch im Rahmen eines Infrastrukturfinanzierungsfonds, einen Beitrag leisten. Gleichzeitig könnte sie weitere Anreize zur CO₂-Einsparung setzen, um die Klimaziele zu erreichen.
Bundesländer wie Baden-Württemberg möchten eine Maut auf Landesstraßen. Was halten Sie davon?
Die Verkehrsministerkonferenz hat sich bereits 2013 für eine Maut auf allen Landesstraßen zur Finanzierung der Verkehrsinfrastruktur ausgesprochen. Der Bund hat nach dem Grundgesetz auch die Kompetenz, eine Maut auf Straßen der Länder und Kommunen zu beschließen. Toll Collect wäre in der Lage, das umzusetzen.
Im Rahmen der Verhandlungen über den Bundeshaushalt 2025 kam die Forderung, dass Gelder von Toll Collect direkt an die Autobahn GmbH überwiesen werden oder die Gesellschaften gar zusammengelegt werden sollten. Wäre das sinnvoll?
Das war eine Scheindebatte. Durch eine Zusammenlegung der Gesellschaften bekäme die Autobahn GmbH des Bundes keine eigenen Einnahmen. Wenn sie Einnahmen direkt aus der Lkw-Maut erhalten soll, ist eine Änderung des Bundesfernstraßenmautgesetzes nötig.
Die Transportunternehmen ärgern sich, dass sie jährlich viele Milliarden Euro Lkw-Maut zahlen, aber nur die Hälfte der Mittel in die Straßenverkehrsinfrastruktur fließt.
Ich kann persönlich die Kritik des Güterverkehrsgewerbes verstehen, auch jene daran, dass kurz nach der Einführung der CO₂-Maut das Förderprogramm für klimafreundliche Lkw ausgelaufen ist. Die Lkw-Maut ist eine Gebühr, keine Steuer. Die Einnahmen sollten daher entsprechend dem Nutzerprinzip grundsätzlich in dem Infrastrukturbereich verwendet werden, für deren Nutzung die Gebühr erhoben wird.
Erreicht der Staat mit der CO₂-Maut das, was er sich vorgenommen hat – nämlich die nachhaltige Transformation der Flotten?
Die ökologische Lenkungswirkung der Lkw-Maut hat sich von Anfang an gezeigt. Die Differenzierung der Mautsätze nach Infrastruktur und Luftschadstoffen ist extrem erfolgreich. 2018 fuhren 73 Prozent der Lkw mit Euro-6-Motoren, heute sind es 94 Prozent. Damit ist in Deutschland die umweltfreundlichste Fahrzeugflotte Europas unterwegs. Seit der Einführung der CO₂-Maut im Dezember 2023 ist auch der Anteil der E-Lkw bereits leicht gestiegen. Der größte Effekt zur CO₂-Einsparung im Verkehr liegt im schweren Güterverkehr, der zu 80 Prozent auf der Straße stattfindet.
Sie sagten anfangs, Toll Collect arbeite jetzt auch mit Mautdaten. Was heißt das?
Bei der Erhebung der Lkw-Maut entstehen jeden Tag sehr viele Daten. Toll Collect kann diese Daten im Auftrag des Bundes datenschutzkonform für Zwecke des Verkehrsmanagements aufbereiten. Ab dem 1. Januar 2026 fließen bei uns alle Daten zusammen, die von Toll Collect und die von den EETS-Anbietern, die privatwirtschaftlich Maut erheben. Der Bund hat dann einen Überblick über den gesamten mautpflichtigen Straßengüterverkehr in Deutschland – nicht nur auf Autobahnen und Bundesstraßen, sondern auf allen Straßen.
Können Sie die Daten nutzen?
Ja und nein. Mautdaten sind geschützt wie keine anderen Daten in Deutschland. Deshalb muss niemand Angst haben, dass beispielsweise für Geschwindigkeitskontrollen Mautdaten verwendet werden. Sie dürfen aber unter Einhaltung strenger Datenschutzvorgaben für das Verkehrsmanagement und eine gezielte Verkehrssteuerung genutzt werden. Wir bieten zum Beispiel ab Mitte dieses Jahres über die Mobilithek des Bundes Daten zur Auslastung von Lkw-Parkplätzen an Autobahnen an. So fließt der Nutzen aus der Analyse der Mautdaten an die Branche zurück und kommt den Lkw-Fahrern zugute. Uns ist wichtig, dass die ohnehin anfallenden Daten nicht in einem Datenfriedhof landen.
Lassen sich mit Mautdaten Kabotagefahrten kontrollieren?
Es gibt eine bis zum Jahresende 2025 begrenzte datenschutzkonforme Öffnung des Bundesfernstraßenmautgesetzes zu diesem Zweck ausschließlich für das BALM. Ab 2026 wird diese Übergangslösung nicht mehr benötigt, weil dann alle grenzüberschreitend eingesetzten Fahrzeuge mit der nächsten Version des intelligenten Fahrtenschreibers ausgestattet sein müssen.
Denken Sie derzeit über eine Änderung Ihrer Unternehmensstrategie nach?
Wir haben sie in den vergangenen drei Jahren neu ausgerichtet und arbeiten an der Umsetzung. Neben der Nutzung der Mautdaten unterstützen wir das BALM bei der Digitalisierung der Kontrolldienste. Heute gibt es zwei Flotten, eine für die Maut- und eine für die Straßenkontrolle. Künftig soll es nur noch ein Fahrzeug für alle Verkehrskontrollen des BALM geben. Ein anderes Beispiel ist das elektronische Frachtinformationssystem eFTI, bei dessen Einführung wir den Bund unterstützen. Ab 2027 muss jeder EU-Mitgliedsstaat die Frachtinformationen im Straßengüterverkehr digital annehmen können. Außerdem sind wir seit einem Jahr Vertragsmanager für das Deutschlandnetz, mit dem der Bund ein flächendeckendes Schnellladenetz für Elektro-Pkw schafft.
Mit dem FDP-geführten Ministerium gab es Uneinigkeit über Ihre Vertragsverlängerung. Können Sie sich in einer neuen politischen Konstellation vorstellen, wieder ins Bundesverkehrsministerium zu gehen oder bei Toll Collect weiterzumachen?
Wir werden nach den Bundestagswahlen sehen, wie es weitergeht. Ich stelle mich auch gern neuen Herausforderungen.
Das Interview führten Susanne Landwehr und Lutz Lauenroth.