Verkehrsverlagerung fängt im Kopf an

Um die Klimaziele erreichen zu können, muss in der Verkehrsbranche ein Umdenken stattfinden. So kann zum Beispiel die duale Berufsausbildung eine sinnvolle Verkehrsverlagerung und damit die Reduktion der CO₂-Emissionen des Verkehrssektors  unterstützen.

Wie die duale Berufsausbildung die Verkehrsverlagerung und damit die Reduktion der CO2-Emissionen des Verkehrssektors erfolgreich unterstützen kann. (Illustration: DVZ)

Alle vorliegenden Prognosen zur künftigen Verkehrsentwicklung gehen von einem massiven Anstieg der Verkehrsleistungen im Güterverkehr bis zum Jahr 2030 aus. Aus Sicht des Verbands Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV) muss der Marktanteil der Schiene deutlich steigen, allein um die Klimaziele der Bundesregierung zu erreichen. National und international hat die Verkehrspolitik in den zurückliegenden Jahren hierzu gemeinsam mit den Akteuren im Markt eine Reihe von Initiativen entwickelt und mit finanziellen Mitteln versehen. Stellvertretend sei hier der Masterplan Schienengüterverkehr des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI) genannt. Auf Betreiben des Sektors ist es gelungen, in diesen Masterplan mit dem „Baustein 10 Aus- und Weiterbildung“ auch die Bedeutung des Faktors Personal aufzunehmen.

Drei der wichtigsten Anliegen aus diesem Baustein sind:

  • die dringend benötigte Vermittlung von Fachwissen über den Schienengüterverkehr in der Ausbildung der Nachwuchskräfte

  • die Gewinnung und Rekrutierung von dringend benötigten Mitarbeitenden und nicht zuletzt

  • die Beseitigung der finanziellen Ungleichheiten bei der Behandlung der Verkehrsträger zulasten der Schiene.

Von besonderer Bedeutung aus Sicht des VDV ist dabei die Überprüfung der inhaltlichen Ausgestaltung der dualen Berufsausbildung zur Kauffrau/zum Kaufmann für Speditions- und Logistikdienstleistung (m/w/d). Dieser Ausbildungsberuf genießt grundsätzlich einen sehr guten Ruf. Die Ausgebildeten gelten als „Architekten des Verkehrs“. Doch Architekten kennen viele Baustile, Speditionskaufleute häufig nicht.

Grund hierfür ist die im Berufsschulunterricht festzustellende Tendenz, in erster Linie Kenntnisse über den Straßengüterverkehr zu vermitteln und sich bestenfalls optional mit einem weiteren Verkehrsträger (Schiene/Schiff/Luft) zu befassen. Ob und wenn ja, in welcher Tiefe das Thema „Schienengüterverkehr“ im Unterricht behandelt wird, hängt dabei vom individuellen Einzelfall ab.

Konkret bedeutet dies bezogen auf die rund 15.000 insgesamt bestehenden Ausbildungsverhältnisse im Bereich Spedition und Logistik: Jedes Jahr werden 5.000 Logistiknachwuchskräfte in die verschiedensten Wirtschaftsbereiche „entlassen“, ohne über vertiefte Kenntnisse zum Schienengüterverkehr zu verfügen. Eine stärkere Inanspruchnahme des Verkehrsträgers Schiene zur Vermeidung klimaschädlicher Immissionen wird dadurch massiv erschwert.Hinzu kommt, dass aufgrund der teilweise einseitigen Berufsaus-bildung die Möglichkeiten und Karrierechancen in Bahnunternehmen den künftigen Mitarbeitenden in Spedition und Logistik meist verborgen bleiben. Dabei müssen von den aktuell 151.000 Beschäftigten in den VDV-Mitgliedsunternehmen bis 2030 rund 74.000 Mitarbeitende aufgrund des demografischen Wandels ersetzt werden: 40.000 allein im Fahrdienst, 20.000 im technischen und 14.000 Stellen im kaufmännischen Bereich werden frei.

Konkrete Hilfsmittel gibt es bereits

Vor diesem Hintergrund gilt es, sowohl die Inhalte der Ausbildungsordnung als auch den Rahmenlehrplan in den Berufsschulen entsprechend anzupassen. Gemeinsam mit dem Julius-Leber-Berufskolleg in Frankfurt am Main hat der VDV ein Lernfeldangebot Schienenverkehr erarbeitet, das pädagogisch-didaktisch exakt ein Berufsschuljahr abbildet und in zehn Teilen das notwendige Rüstzeug künftiger Nachwuchskräfte zum Thema „Schienengüterverkehr“ vermittelt. Hiermit steht den Berufsschulen bundesweit ein Tool zum sofortigen Einsatz zur Verfügung, das dabei helfen könnte, den Mangel an notwendigen Kenntnissen über den Verkehrsträger Schiene zu beheben. Eine verpflichtende Aufnahme in die duale Berufsausbildung zum Kaufmann/zur Kauffrau für Speditions- und Logistikdienstleistung (m/w/d) könnte hier massiv Abhilfe schaffen.

Wie ressortübergreifend erfolgreich im Sinne der Verkehrsverlagerung auf umweltfreundliche Verkehrsträger gearbeitet werden kann, zeigt auch das durch das Bundesumweltministerium geförderte Projekt „SysLog“. Ziel ist es, den Anteil an Wissen über den Kombinierten Verkehr (KV) in der logistischen Berufsausbildung aktiv zu erhöhen. In Rahmen des zweieinhalbjährigen Projekts wird ein digitales KV-Modul entwickelt, um den Kombinierten Verkehr während der logistischen Berufsausbildung besser erleb- und damit erlernbar zu machen. Und: Die im Jahr 2019 gestartete VDV-Arbeitgeberkampagne www.in-dir-steckt-zukunft.de läuft über Social-Media-Kanäle und will die Aufmerksamkeit junger Fach- und Nachwuchskräfte auf die Eisenbahnbranche richten. Anhand authentischer, real existierender Personen werden die Tätigkeitsbereiche, in denen der größte Fachkräftebedarf besteht, Interessenten vorgestellt.

Was weiter getan werden könnte

Die dargestellten Aktivitäten zei- gen: Die Branche hat die Herausforderungen der Personalrekrutierung erkannt und bereits erfolgreich eigene Aktivitäten auf unterschiedlichen Ebenen angestoßen. Diese binden neben personellen Ressourcen aber nicht zuletzt auch Finanzmittel. Anders als beim Verkehrsträger Straße, dessen Unternehmen des mautpflichtigen Güterkraftverkehrs gemäß dem 26. Subventionsbericht der Bundesregierung als Ausgleichzahlungen der „Deminimis“-Kompensationen für die Personalgewinnung, Aus-, Fort- und Weiterbildung Mittel in Höhe von 125 Mio. EUR jährlich zur Verfügung haben, erhält der Bahnsektor solche Zahlungen nicht. Er muss seine Anstrengungen komplett selbst bezahlen. Darüber hinaus engagiert sich der Bund im Bereich der Binnenschifffahrt mit immerhin jährlich rund 2,5 Mio. EUR. Hier gilt es aus Sicht des VDV nachzusteuern und eine finanzielle Gleichstellung der Schiene mit den anderen Verkehrsträgern herzustellen. Hilfreich wäre auch eine Schulung von Mitarbeitenden der Arbeitsagenturen und Ausbildungsberatungen, die häufig über keine oder nur unzureichende Kenntnisse der Beschäftigungsmöglichkeiten im Eisenbahnbereich verfügen. Darüber hinaus könnten Praxistage für Berufsschullehrer bei Bahnspeditionen sowie Klassenexkursionen zu Bahn- unternehmen und beispielsweise Umschlaganlagen initiiert werden. Vielleicht sind Azubi-Tauschbörsen für Kurzpraktika in einem Logistikunternehmen mit Bahnschwerpunkt möglich. Zudem lassen sich natürlich Vorträge von Menschen aus der Schienengüterverkehrspraxis in den Unterricht einbinden.

Der VDV setzt sich vehement für die Umsetzung der im Masterplan Schienengüterverkehr genannten Maßnahmen ein und steht ebenfalls für jedwede Unterstützung etwa in Form von Vorträgen gerne zur Verfügung. (kl)

Marcus Gersinske ist Fachbereichsleiter Ressourcenmanagement beim Verband Deutscher Verkehrsunternehmen e. V. (VDV) in Köln.

Insellösung

Bessere Luft, mehr Grün, weniger Hitzeinseln, weniger Lärm, weniger Schadstoffemissionen, weniger Verkehrstote, weniger Erkrankungen der Atemwege, höhere Lebenserwartung: Ein Umdenken in den Köpfen der Stadtverwalter und -planer von Barcelona verändert die Situation der Bewohner der Großstadt nachhaltig. Seit 2017 sind mehrere sogenannte Superblocks entstanden, es könnten in den nächsten Jahrzehnten rund 500 werden. Was ist ein Superblock? Die Zusammenfassung von zwei mal zwei oder drei mal drei Wohnblocks zu einer Einheit. Ihre inneren Straßen werden gesperrt und komplett anderweitig mit Spielplätzen, Stadtmöblierung, Grünflächen, Fuß- und Fahrradwegen genutzt oder auf eine Fahrspur begrenzt, die nur noch Anwohnern und Lieferverkehr als Einbahnstraße zur Verfügung steht mit stark reduzierter erlaubter Geschwindigkeit und Linksabbiegegebot. 60 Prozent der bisher von Autos genutzten Straßen sollen für andere Nutzungen frei werden. Ein weiterer Erfolg der bisherigen Superblocks: Die Zahl der lokalen Geschäfte ist innerhalb der einzelnen Zonen um 30 Prozent gestiegen.

Lesen Sie hierzu: www.barcelona.de/de/barcelona-superblocks.html

Aktuell wird in Berlin ebenfalls über Superblocks nachgedacht:

www.treffpunkt-kommune.de/verkehrskonzept-superblocks-fuer-berlin/

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