Supply-Chain-Institut: Resilienz gegen Störungen erhöhen

Das Supply Chain Intelligence Institute Austria will Unternehmen auf Lieferkettenprobleme vorbereiten. Aktuell beschäftigen sich die Forschenden mit Branchen wie der Automobil- und Halbleiterindustrie.

Beim Pharmakonzern Sandoz ist die gesamte Wertschöpfungskette vor Ort am Tiroler Entwicklungs- und Produktionsstandort Kundl. (Foto: Picture Alliance / Roland Mühlanger / Picturedesk.com [M]; ASCII)

In Österreich machen wir uns schlechter, als wir sind“, findet Peter Klimek, Direktor am Supply Chain Intelligence Institute Austria (ASCII) im oberösterreichischen Steyr und Wien. Sein Gegenbeispiel: „In der Antibiotika-Produktion haben wir den einzigen europäischen Standort, an dem die gesamte Wertschöpfungskette vor Ort ist.“ Der Pharmakonzern Sandoz investiert seit Sommer 2020 an seinem Tiroler Entwicklungs- und Produktionsstandort Kundl in eine durchgängige Produktionskette für Penicillin.

Doch Klimek weiß: Wenn Medikamente im eigenen Land hergestellt werden, „bedeutet das nicht unbedingt, dass sie auch auf den heimischen Markt kommen“. Der Physiker und Komplexitätsforscher hat während der Pandemie die österreichische Regierung beraten und sich mit Lieferengpässen in der Pharmaindustrie beschäftigt, wovon die Alpenrepublik in den vergangenen Jahren betroffen war.

Logistiker „nicht primär im Fokus“

Im März 2023 entstand das ASCII mit dem Ziel, die Produktion und Versorgung in Österreich sowie in Europa branchenübergreifend resilienter gegen Lieferkettenstörungen zu machen. Zu den Gründungsmitgliedern gehören in Wien das Österreichische Institut für Wirtschaftsforschung (Wifo) und der Complexity Science Hub sowie in Steyr der Verein Netzwerk Logistik und das Logistikum als integrierte Bildungs- und Forschungseinheit der FH Oberösterreich. Logistikunternehmen stehen laut Klimek allerdings „nicht primär im Fokus“ der 30 Forschenden am ASCII. So spricht er statt von Lieferketten auch von „Wertschöpfungsnetzwerken“.

Es gehe nicht nur darum, Produkte von A nach B zu bringen, sondern um „einen größeren Kontext“, der Resilienz, Nachhaltigkeit und Effizienz betrachtet: Wer kauft von wem und liefert an wen? Wer arbeitet mit wem zusammen? Beispiel Pharmaindustrie: „Wenn man die Wertschöpfungsketten zurückverfolgt, sieht man, dass viele der chemischen Ausgangsstoffe nur noch an einer Handvoll Standorten weltweit gefertigt werden, die meisten in China und Indien“, sagt er. Ein System mit so starker Konzentration sei „anfällig“.

Eines der ersten Themen, mit denen sich das ASCII intensiv beschäftigt hat, war das europäische Lieferkettengesetz. Im Schnitt hat ein EU-Unternehmen 30 Lieferbeziehungen, bei größeren Firmen sind es jedoch bis zu 100.000, haben die Wissenschaftler herausgefunden. Zudem überlappen sich diese Lieferketten mitunter sehr stark, womit „ein unnötig großer Zertifizierungsmarkt“ für Berater geschaffen werde, merkt Klimek kritisch an. Im November 2023 veröffentlichte er unter anderem gemeinsam mit Wifo- Direktor und ASCII-Vizepräsident Gabriel Felbermayr Vorschläge, um „die gute Intention dieses Gesetzes mit dem Erhalt der Wettbewerbsfähigkeit“ zusammenzubringen. Die Idee klingt verblüffend simpel: Überprüfungen bündeln, damit nicht jedes Unternehmen einzeln an jeden Zulieferer herantreten muss. Ein System mit Negativ- und Positivlisten würde für EU-Importeure Aufwand und Kosten senken. Mit Firmen auf Negativlisten wären Geschäfte verboten, bei denen auf Positivlisten würde die Sorgfaltsprüfung entfallen.

Überraschende Erkenntnis

Aktuell beschäftigen sich die Forschenden mit Branchen wie der Automobil- und Halbleiterindustrie: Wie resilient und nachhaltig sind deren Netzwerke? Wie gestalten sie sich gerade um? „Wir haben eine Daten- und Modellinfrastruktur aufgebaut, die wir jetzt versuchen möglichst schnell und gezielt auf einzelne Anwendungsfelder umzulegen“, erläutert Klimek. Konkret haben die Wissenschaftler beispielsweise ein Analysewerkzeug entwickelt, mit dem sich große, im Internet frei verfügbare Textmengen nach Informationen durchsuchen lassen: „Damit können wir etwas über die Lieferketten lernen und Beziehungen identifizieren“, sagt er. Dabei arbeitet das ASCII auch mit künstlicher Intelligenz (KI), hauptsächlich aber mit Netzwerkanalysen.

Während bei Antibiotika Kostenzwänge zur Konzentration führten, liegen Klimek zufolge bei Halbleitern in vielen Fertigungsschritten hochspezialisierte Tätigkeiten bei wenigen Unternehmen. Das mache das Netz „um einiges herausfordernder“, aber auch intransparenter. Überraschende Erkenntnis: Wie verteilt und komplex diese Wertschöpfungskette ist, und dass in einem Wiener Vorort ein relativ unbekannter Hersteller sitzt, der für Lithografiesysteme „im Bereich der fortschrittlichsten Halbleiter fast den gesamten Weltmarkt an Geräten zur Herstellung von Fotomasken beherrscht“. Diese Zusammenhänge aufzudecken, findet Klimek hochspannend.

Im Automobilbereich fasziniert ihn, wie sich die technologische Basis verändert: „Wenn wir Elektro-autos herstellen, müssen sich auch alle Zuliefernetzwerke umstrukturieren.“ Das ASCII sei gerade dabei aufzuzeichnen, wo es in Europa Know-how und Arbeitskräfte gibt, um den Wandel zu bewerkstelligen. „Die Transformation findet auch über Sektorgrenzen hinweg statt, deshalb müssen wir das in einen größeren Kontext einbetten“, wird der Wissenschaftler nicht müde zu betonen. Europa sieht er hier gut aufgestellt.

In den nächsten Jahren will sich das ASCII auf europäischer Ebene für Wertschöpfungsketten-relevante Fragen als ein führendes Forschungsinstitut positionieren. „Wir wollen eine Brücke schlagen zwischen wissenschaftlichen Erkenntnissen und politischen Entscheidungsprozessen, dabei auch die Perspektive der Industrie einflechten“, fasst Klimek zusammen. Diese Kombination unterscheide das ASCII von anderen Instituten. (fw)

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