Logistikprofessor Kummer: Experte aus Leidenschaft

Sebastian Kummer ist Professor und Vorstand des Instituts für Transportwirtschaft und Logistik in Wien. Er sagt von sich selbst, dass er gerne polarisiert. Und das nicht nur bei österreichischen Logistikthemen.

Seit über 20 Jahren lebt und arbeitet Sebastian Kummer in Österreich. Die dortige Verkehrspolitik liegt ihm am Herzen. (Foto: Prof. Sebastian Kummer / WU Wien)

Man könnte ein ganzes Buch über Sebastian Kummer schreiben und müsste noch immer priorisieren. Denn der Professor und Vorstand des Instituts für Transportwirtschaft und Logistik an der Wirtschaftsuniversität Wien (WU) mit rund 20 Mitarbeitern und 10 externen Doktoranden ist so umtriebig, dass sein ganzes bisheriges Leben reich an Geschichten ist.

Gerade komme er etwa aus China zurück, wo er 2010 eine dreijährige Gastprofessur hatte und einmal an der Restrukturierung der chinesischen Eisenbahn beteiligt war. 1998 arbeitete er am Entwurf der verkehrswissenschaftlichen Ausbildung in Russland mit, um nur wenige Beispiele zu nennen. Und auch privat war er schon viel unterwegs, etwa vergangenes Jahr in Tahiti und Australien. Seine Idealvorstellung: „Die Welt sollte ein globales Dorf sein.“

Ein Unnaer in Wien

Neben all der Begeisterung für Internationalität und andere Kulturen – seine Frau ist Italienerin – sowie viele Aktivitäten rund um Transport, Logistik und Verkehr gibt es aber auch eine Konstante: Seit über 20 Jahren lebt und arbeitet der gebürtige Unnaer in Österreich, und das gerne. Schon als Kind, als er mit seinen Eltern nach Lech am Arlberg zum Skilaufen fuhr, habe er die Alpenrepu-blik gemocht.

Dass es ihn auch beruflich dahin verschlug, war eher ein Zufall. „Wir hatten uns in Dresden, wo ich damals Professor für BWL, insbesondere Verkehrsbetriebslehre und Logistik, an der TU war, gerade ein Haus gekauft, als ich von der Ausschreibung für die Professur in Wien erfuhr“, erinnert er sich. Er bewarb sich, bekam den Ruf erteilt und siedelte mit Frau, Sohn und Tochter 2001 nach Wien über, wie man in Österreich sagt, wenn man seinen Wohnsitz in ein anderes Land verlegt.

Seitdem liegt ihm auch die österreichische Verkehrspolitik am Herzen. „Die Verkehrsinfrastruktur hier ist aufgrund von langfristig guten Entscheidungen wesentlich besser als in Deutschland“, berichtet Kummer. „Ein Grund dafür ist die Autobahnen- und Schnellstraßen-Finanzierungs-Aktiengesellschaft, kurz Asfinag, die sehr profitabel ist. Und auch in die Bahninfrastruktur ist seit Jahrzehnten investiert worden, da gibt es ebenfalls keine so großen Probleme.“

An Kritik spart der Logistikwissenschaftler aber auch nicht: „Österreich baut seit Jahren an Tunneln wie dem Brennerbasistunnel, dem Koralmtunnel sowie dem Semmering-Basistunnel bei Wien und gibt dafür rund 20 Milliarden Euro aus“, berichtet er. „Ob das verkehrswirksam ist, kann man aber infrage stellen.“

Die vielfach an Deutschland geübte Kritik am langsamen Bau der Vor- und Nachläufe zum Brennerbasistunnel teilt er jedoch nicht: „Auf italienischer Seite ist es viel kritischer, da es auf der Strecke von Fortezza/Franzensfeste bis Verona keine ausreichende Kapazität gibt, da Südtirol sein S-Bahn-System ausbaut, das zum Großteil über die gleichen Gleise läuft.“

Kummer äußert auch gern, wie es besser gehen könnte, und zwar unabhängig davon, ob das die Meinung der Mehrheit ist. Im Gegenteil: „Ich mag es zu polarisieren“, sagt er, erfreut sich selbst an dieser Aussage, und zeigt auch gern seine Erfolge: „Ich habe den österreichischen Staat schon gut beraten, sodass dieser einige Millionen Euro eingespart hat.“

Das gelte allerdings nicht für den Brennerbasistunnel. „Da war ich für einen reinen Güterverkehrstunnel mit nur einer Röhre und zwei Gleisen und hatte vorgeschlagen, dass die Züge dort autonom fahren, sodass es keinen Rettungstunnel gebraucht hätte. Autonomes Bahnfahren war aber eher ein Projekt des letzten Verkehrsministers und weniger seiner Nachfolgerin.“

Die vorhandene Menge an grüner Energie ist nicht ausreichend. Sebastian Kummer, Vorstand des Instituts für Transportwirtschaft und Logistik (WU Wien)

Nachholbedarf bei Ladestationen

Die aktuell größte Herausforderung in Österreich sei die Transformation für die Dekarbonisierung. Das Problem: „Die vorhandene Menge an grüner Energie ist nicht ausreichend, auch wenn das Land technologieoffen ist und etwa der Treibstoff HVO im Straßengüterverkehr schon länger zugelassen ist als in Deutschland“, so Kummer. „Bei Wasserstoff und Batterie konkurrieren wir etwa mit der Luftfahrt um die gleichen Energieträger. Hier muss es darum gehen, wo diese am effizientesten sind.“

Außerdem: „Die grüne Verkehrsministerin hat den Umstieg zu wenig und zu zögerlich gefördert“, meint Kummer. „Nun gibt es erste Förderprogramme, aber wir haben einen Riesennachholbedarf, insbesondere bei Ladestationen an den Autobahnen der EU – ähnlich wie in Deutschland. Immerhin sei die Parkplatzsituation für Lkw in Österreich wegen der Asfinag besser als in Deutschland, wie auch der Fahrermangel etwas weniger stark sei.

Kummer selbst ist bekannt geworden mit den sogenannten „Kummer“-Tabellen, die er für die Kalkulation der Lkw-Maut bei ihrer Einführung in Österreich 2003 entwickelte und die längst von vielen Unternehmen der Branche genutzt werden. Die Systematik liegt auch der Entwicklung von Tabellen in sieben anderen europäischen Ländern zugrunde, darunter auch Deutschland, und eignet sich auch für die CO2-Berechnung.

„Aktuell arbeiten wir an einem großen Projekt zu den Einsparungspotenzialen alternativer Antriebe wie HVO, Wasserstoff und Batterien“, berichtet Kummer, dem Praxisnähe wichtig ist und der mit seinen Mitarbeitern schon zahlreiche Forschungs- und Beratungsprojekte rund um Transportwirtschaft, Logistik und Supply Chain Management durchgeführt hat. Etwa als Leiter der Entwicklung des Österreichischen Gesamtverkehrsplans und mit europäischen Unternehmen wie Deutsche Bahn, Lenzing, Siemens, Westbahn, ÖBB, Österreichische Post und Red Bull.

Was ihn antreibt: Wissen weiterzugeben und Wissen zu erwerben. Entsprechend stolz ist er, Studierende und Doktoranden in erfolgreiche Karrieren begleitet zu haben. Früh schon habe er in den Uni-Bereich gewollt. Ein Unternehmen hat er dennoch sehr gut von innen kennengelernt: die der Familie gehörende Zahnradfabrik Unna, deren Prokurist und Geschäftsführer er war, bevor er den Job an seinen Bruder weitergab.

Nach wie vor ist er überzeugt davon, dass dies „der beste Beruf der Welt“ ist. Fast wäre er allerdings Segler geworden: „Ich habe die Weltmeisterschaft im Laser, einer Einhand-Jolle, gesegelt. Aber als ich 19 wurde, musste ich entscheiden, ob ich studieren oder professionell Laser segeln möchte, und dann hatte ich auch noch eine Freundin in Heidelberg.“ Bereut hat er die Entscheidung nie, die Leidenschaft fürs Segeln ist geblieben, auch nachdem aus einem Segeltörn 2020 während der Corona-Pandemie eine Odyssee wurde. 90 Tage war er allein auf einem Segelboot im Mittelmeer, durfte keinen Hafen anlaufen und musste sich vor der Küstenwache verstecken. „Geblieben sind die langen Haare und der Bart, aber auch Dankbarkeit für diese Zeit“, so Kummer.

Trotz aller Agilität und Aktivität rückt nun im Alter von 61 Jahren der Ruhestand näher. Wie er in diesen neuen Lebensabschnitt starten möchte, weiß er schon genau. Trotz aller Verbundenheit will er dem Institut zwar weiterhin bei Fragen zur Verfügung stehen, es ansonsten aber vollständig seinem Nachfolger überlassen und nicht mehr vor Ort sein. So hatte er es auch bei seinem Vorgänger geschätzt. Er selbst will dann erst einmal die Welt umsegeln. (ab)

 

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