Temu und Shein: Noch einzuholen oder schon übermächtig?

Hiesige Händler und Logistikdienstleister stehen unter Druck. Die neuen Player aus Übersee werden beliebter, die Spielregeln am Markt und die Kundenwünsche verändern sich. Bei der 2. DVZ-Konferenz Future Commerce in der Hamburger Kühne Logistics University wurde die aktuelle Lage diskutiert.

V.l.n.r.: Jürgen Lischka (Knapp), Holger Tillmanns (Kühne + Nagel), Vanessa Alina Spiegel (Tom Tailor), Tobias Kassner (Garbe) und DVZ-Redakteur Sebastian Reimann im Gespräch auf der Bühne. (Foto: Dierk Kruse)

Plattformen wie Temu, Shein oder Alibaba haben das Wettbewerbsumfeld und das Konsumverhalten im Onlinehandel verändert. Die neuen Player aus Übersee stellen hiesige Händler und Logistiker vor Herausforderungen, obgleich die Branche nach einem Post-Corona-Tief wieder höhere Wachstumsraten verzeichnet.

2023 lag der E-Commerce-Anteil am deutschen Bruttoinlandsprodukt (BIP) bei 261 Milliarden Euro. 2019 waren es noch 171 Milliarden Euro, betonte Christoph Wenk-Fischer, Hauptgeschäftsführer des Bundesverbands E-Commerce und Versandhandel Deutschland (bevh), bei der 2. DVZ-Konferenz Future Commerce vergangene Woche in der Kühne Logistics University in Hamburg.

Marktplätze dominieren

Einen erheblichen Anteil am Wachstum haben Online-Marktplätze. Laut einer Erhebung des bevh wird mit 55 Prozent bereits mehr als jeder zweite Euro im E-Commerce auf Marktplätzen umgesetzt. Die großen Anbieter aus Drittstaaten – Shein, Temu und Aliexpress – profitieren derweil von einer rasant steigenden Nachfrage: 2024 lag ihr Anteil an allen Onlinekäufen in Deutschland laut bevh bei knapp 6 Prozent. 2022 war es noch weniger als 1 Prozent. Der Umsatzanteil lag mit rund 3 Milliarden Euro bei 3 Prozent.

43 Prozent der Temu-Kunden sind 60 Jahre und älter.

Christoph Wenk-Fischer, Hauptgeschäftsführer Bundesverband E-Commerce und Versandhandel DE

Besonders interessant ist in diesem Zusammenhang die Altersstruktur der Käuferinnen und Käufer: „Temu hat zum Beispiel eine große Gruppe von älteren Kundinnen und Kunden. 43 Prozent sind 60 Jahre und älter“, erklärte Wenk-Fischer. Bei Shein habe die Altersgruppe der 14- bis 29-Jährigen mit 51 Prozent den höchsten Kaufkraftanteil.

KI prägt den Markt

Wie ein deutscher Händler auf die Wettbewerber aus Übersee reagiert, zeigte Raphael Maier, Group Vice President Supply Chain Management bei der Otto Group. „Letzten Endes sind es die Kundinnen und Kunden, die die Ware bestellen. In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage: Haben wir die Bedürfnisse der Kunden richtig im Blick?“, fragte Maier in seinem Vortrag. „Wir sehen, dass Anbieter wie Temu und Shein die Luftfracht sehr stark im Fokus haben. Sie beginnen aber durch die zunehmenden Engpässe auch in die Infrastruktur zu gehen, zum Beispiel in Richtung Fulfillment-Center.“

Unter dem Strich seien auch die chinesischen Anbieter an die verfügbaren Transportkapazitäten gebunden. „Seit August sehen wir, dass die Nachfrage der Asien-Europa-Relation im Bereich Luftfracht höher ist als das Angebot“, berichtete Maier. „Die Physik entlang der Supply Chain ist für alle gleich, auch wenn die Geschäftsmodelle unterschiedlich sind.“

Für die kommenden Jahre sieht die Otto Group einen besonderen Fokus auf die technologische Weiterentwicklung. Insbesondere künstliche Intelligenz werde auf den E-Commerce einen deutlich größeren Einfluss haben als Anbieter wie Temu oder Shein. „Es ist an uns als Händler, Lösungen zu suchen, wie wir weiter wettbewerbsfähig bleiben können. Wir müssen uns mit diesen Technologien unbedingt beschäftigen“, ist Maier überzeugt.

Oliver Kraftsik, Managing Director Germany beim Kontraktlogistiker GXO, appellierte in seinem Vortrag an das Wertebewusstsein und den fairen Zusammenhalt der Marktteilnehmer. „Wenn man sieht, dass die Werte der Firmen nicht zusammenpassen, dann muss man das Rückgrat haben zu sagen: Das passt nicht zueinander“, so Kraftsik. „Wir sollten alle versuchen, uns eine kleine Logistikinsel der Glückseligkeit zu schaffen. Und was sicher niemand braucht, ist ein Verhalten wie von einem Kind im Süßigkeitenladen, das sich bedient und jemand anderen bezahlen lässt.“

 

Ein Programm-Highlight war eine Diskussion zu digitalen Prozessen und KI (v.l.n.r.): M. Krings (The Commerce Company), C. Barrot (KLU), J. Börs (Arvato), Ma. Wilhelms (EPC) und S. Reimann (DVZ). (Foto: Dierk Kruse)
Oliver Kraftsik (GXO/links) und Raphael Maier (Otto Group) diskutierten über den richtigen Umgang mit den Wettbewerbern aus Fernost und effiziente E-Commerce-Logistik. (Foto: Dierk Kruse)
Ole Trumpfheller, Managing Director North Europe bei Maersk, hielt einen Vortrag zur Integrator-Strategie der Unternehmensgruppe. (Foto: Dierk Kruse)
Auch in den Pausen wurde im Foyer der Hamburger Kühne Logistics University (KLU) fleißig weiter diskutiert. (Foto: Dierk Kruse)
Julia Börs, President Consumer Products bei Arvato, gab einen spannenden Einblick in das Thema Omnichannel-Logistik im Wandel. (Foto: Dierk Kruse)
Kühne + Nagel-ManagerHolger Tillmanns sprach über Omnichannel-Fulfillment-Lösungen. (Foto: Dierk Kruse)
Christian Barrot , Professor an der KLU, kritisierte die man- gelnde Sichtbarkeit der Logistik in Onlineshops. (Foto: Dierk Kruse)
Gibt es noch Fragen aus dem Publikum? Das berühmte Wurfmikrofon der KLU kam nach den Vorträgen mehrfach zum Einsatz. (Foto: Dierk Kruse)

Logistik sichtbarer machen

Christian Barrot, Professor für Marketing und Innovation an der Kühne Logistics University, kritisierte die mangelnde Sichtbarkeit von Logistikdienstleistern in Onlineshops: „Es werden zum Teil diverse Zahlungsmethoden angegeben, aber keine Info zum Versender. Als Kunde habe ich keine Wahl, ich bekomme nicht einmal die Information, wer das macht.“ Dabei scheinen die Paketdienstleister ein wichtiger Faktor im Onlinehandel zu sein, so Barrot.

Im schlimmsten Fall entscheiden sich potenzielle Kundinnen und Kunden sogar gegen einen Kauf, wenn sie mit einem vom Händler festgelegten Logistikdienstleister nicht einverstanden sind. Lässt man ihnen stattdessen die Wahl, sich für den Paketdienstleister ihres Vertrauens zu entscheiden, könnte die Logistik „vom Kostenfaktor zum Erlöstreiber“ werden, ist Barrot überzeugt.

Aus unserer Sicht sind der Online- und Offline-Kanal immer mehr verbunden. Julia Börs, President Consumer Products, Arvato

Online und Offline vermischen

Die asiatischen Player verändern nicht nur den Markt, sondern auch die Gesetze des Onlinehandels inklusive der Kundenwünsche. „Der Kunde möchte ein Einkaufserlebnis haben. Über welchen Kanal er dieses Erlebnis hat, ist ihm eigentlich egal“, sagte Julia Börs, President Consumer Products bei Arvato. „Aus unserer Sicht sind der Online- und Offline-Kanal immer mehr verbunden; wir müssen ein hybrides Einkaufserlebnis schaffen. All unsere Ausschreibungen tendieren beispielsweise ganz stark zu Omnichannel und nicht mehr zu der Separierung von B2C und B2B.“

Um nicht in einen Preiskampf gegen die Konkurrenz einzutreten, müssen sich hiesige Anbieter in Qualität und Service unterscheiden, so Börs weiter: „Der Kunde definiert den Kanal, und dem müssen wir uns fügen, sonst geht er am Ende zu einer anderen Plattform, um einzukaufen.“ Immer öfter seien auch zentralisierte Logistikstandorte im Omnichannel-Bereich zu beobachten.

Daten werden wichtiger

Mit der Frage, wie Asset-Kontrolle und Digitalisierung für mehr Resilienz und Flexibilität im E-Fulfillment sorgen können, beschäftigte sich Ole Trumpfheller, Managing Director North Europe bei Maersk. Die Unternehmensgruppe setzt unter anderem auf plattformbasiertes Supply Chain Management. „Asset bedeutet für uns nicht nur Flugzeuge, Schiffe, Terminals oder IT-Plattformen, sondern auch Daten“, erklärte Trumpfheller. Eine voll integrierte Logistiklösung bietet Maersk unter anderem für den Sportartikelhersteller Puma an.

„Wir schauen uns alles an“, antwortete Trumpfheller auf die Frage, ob Maersk irgendwann auch einen eigenen Paketdienst betreiben wird. Zudem sei nicht gänzlich auszuschließen, dass das Unternehmen über seine Plattformen irgendwann selbst als Händler auftritt.

Wir differenzieren in eine Push- und eine Pull-Logistik.

Vanessa Alina Spiegel, Director Logistics, Tom Tailor

Wachstum für 2025 erwartet

In einem Themenblock zu Logistikimmobilien als Enabler einer effizienten E-Commerce-Logistik gaben Tobias Kassner von Garbe Industrial Real Estate, Vanessa Alina Spiegel von Tom Tailor, Holger Tillmanns von Kühne + Nagel und Jürgen Lischka von der Firma Knapp interessante Beispiele aus ihren Unternehmen.

„Wir trennen Logistik nicht mehr nach Vertriebskanälen, sondern differenzieren in eine Push- und eine Pull-Logistik“, beschrieb Spiegel den Ansatz des Modeunternehmens Tom Tailor. Die Push-Logistik habe einen Fokus auf Effizienz und Geschwindigkeit, die Pull-Logistik sei für Spontanität und besondere Anforderungen mit einem Fokus auf normierte Bestände ausgelegt.

Am Endes des Tages hat sich eines besonders deutlich gezeigt: Deutsche Händler und Logistikdienstleister wollen der chinesischen Konkurrenz nicht das Feld überlassen. Nach der Post-Corona-Flaute gilt es, sich dem veränderten Konsumverhalten anzupassen und flexibel auf Marktveränderungen zu reagieren.

Aktuell prognostizieren der bevh und das EHI Retail Institute für den E-Commerce-Umsatz ein nominales Wachstum von 2,5 Prozent in diesem Jahr. Offen bleibt, ob die Wachstumseuphorie im Onlinehandel zurückkehrt und welchen Anteil Temu, Shein und Co. daran haben werden.

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