Beim Stückgut ist Berlin Empfängerland

An einem Stückgutknoten in Großbeeren nahe Berlin treffen täglich diverse Speditionen aufeinander. Die Arbeitsabläufe sind genau getaktet.

Lars Protz (links) mit einem Mitarbeiter in der Umschlaganlage. Weliver Logistik verfügt über einen weiteren Standort in Mannheim, der auf die taggleiche Zustellung in der Metropolregion Rhein-Neckar spezialisiert ist. (Foto: Stephanie Lützen)

Beim Stückgutspezialisten Weliver Logistik in Großbeeren im Speckgürtel von Berlin um 17 Uhr: An der 4.200 Quadratmeter großen Umschlaganlage trifft die Spedition Noack aus dem brandenburgischen Beskow ein. Beladen ist der 40-Tonner mit Abholaufträgen der Stückgutkooperation Sim Cargo aus der Region Brandenburg. Die nächsten Minuten folgen einer eingespielten Routine: Erst scannen, dann greift der Gabelstapler unter die Palette und lädt diese direkt durch zu Rampe 12. Dort steht der Sim-Cargo-Lkw für die Fernlinie nach Nürnberg bereit. Der Vorgang wiederholt sich mit anderen Destinationen. Nach zehn Minuten ist alles erledigt. „Bis 20 Uhr beladen wir insgesamt acht Fernverkehrslinien – sechs für Sim Cargo, zwei weitere für die Stückgutkooperation VTL, die auch einer unserer Gesellschafter ist“, umreißt Lars Protz, Weliver-Standortleiter in Großbeeren.

Schnell lässt sich überschlagen, dass nur etwa 90 Sendungen zur Verladung bereitstehen. Anlass zur Sorge bereitet das hier niemandem. „Die Hauptstadtregion mit ihrer Unpaarigkeit der Verkehre nimmt eine Sonderrolle in der Stückgutwelt ein. Die 90 Sendungen im Ausgang sind ein normaler Durchschnittswert, dafür kommen täglich 650 Sendungen zur flächendeckenden Verteilung in der Region Berlin/Brandenburg am Lager an. Das ist ein Verhältnis von 1:7“, verdeutlicht Protz und ergänzt: „Diese Eingangssendungen in einem Radius von 150 Kilometern zu verteilen ist unser Kerngeschäft. Das beinhaltet alle Postleitzahlen von 10000 bis 16999.“ Mittlerweile ist es 17:30 Uhr. Der Lkw der Spedition Noack nutzt den Parkplatz von Weliver für seine Ruhezeit. Er wartet auf seine Rückladung, die mit den eingehenden Linienverkehren in der Nacht eintrifft.

(Foto: Stephanie Lützen)

Stress zwischen 2 und 6 Uhr in der Annahme

Das ist für Protz der eigentliche Startpunkt des täglichen Kreislaufs: „Um 2 Uhr nachts erwacht der Arbeitsplatz unserer Disponentinnen zum Leben, es treffen die ersten Fernverkehrs-Lkw ein. Bis 6 Uhr fertigen wir 20 Fahrzeuge ab, alle voll beladen bis unter die Decke, sechs davon von Sim Cargo und fünf von VTL. Hinzu kommen die Hauptläufe von weiteren Stückgutkooperationen, Großspediteuren und den anderen drei Gesellschaftern von Weliver.“ Das sind Meyer-Jumbo Logistics, Hamacher Logistik und die OSA Spedition. Zusammen mit Vernetzte-Transport-Logistik (VTL) gründeten sie 2017 die Spedition Weliver, um ein zuverlässiges System für die Verteilung terminkritischer Güter in der Hauptstadtregion aufzubauen.

Mit Erfolg, wie Protz bilanziert: „Unser Lager ist zu 95 Prozent ausgelastet.“ Die Kapazität im Crossdock mit 43 Rampen liegt bei 1.100 Sendungen. Diese hätten im Durchschnitt ein Gewicht von 300 Kilogramm und umfassten je 1,5 Packstücke. Blickt man in die Halle, liegen die Einheiten in Reihen verladebreit unter großen Schildern mit Postleitzahlgebieten.

Ab 6 Uhr morgens geht es dann nahtlos auf der anderen Seite der Halle weiter. Die Rampen für die Zustellung füllen sich mit insgesamt 55 Verteilfahrzeugen. Verladen wird alles, was in der Hauptstadt und im Umland bestellt wird: vom Briefumschlag über Pflanzen, Fernseher, Maschinenteile bis hin zur Palette mit einer Tonne Steine. „Die bunte Mischung an Waren resultiert auch daraus, dass die Adressaten zu 23 Prozent Privatkunden sind. Die Vereinbarung der Liefertermine übernimmt ein automatisiertes Avisierungstool“, erklärt Protz. Überhaupt spielt die Digitalisierung in dem schlank aufgestellten Unternehmen mit 18 Mitarbeitenden eine große Rolle. Bei der Tourenplanung erarbeitet ein KI-gestütztes Dispositions-Tool Vorschläge für das Team. Auch die Schnittstellenkontrolle erfolgt digital. „Seitdem gibt es so gut wie keine Rückfragen mehr aus der Partnerwelt“, freut sich Protz. Damit nichts verlorengeht, hat Weliver auch am Lager elektronische Unterstützung. Er weist auf die 39 Kameras des installierten Videosystems hin: „Wir können den Weg jeder gescannten Sendung per Video durch das Lager verfolgen.“ Doch zurück zur Nahverkehrszustellung mit Verteil-Lkw, die nach Berlin und Brandenburg ausgeschwärmt sind. Auf dem Rückweg bringen die Fahrer bis 16 Uhr die für die Linienverkehre bestimmten Sendungen mit nach Großbeeren. Der Kreislauf der Verteilspedition schließt sich.

Eigenen Polenverkehr aufgebaut

Gegen 17:30 Uhr ist es naturgemäß etwas ruhiger, deshalb nutzt Protz den Moment, um sich mit Weliver-Geschäftsführer Jürgen Hölscher abzustimmen, der heute zu seinem monatlichen Meeting aus Gronau angereist ist, wo er die Geschäfte von Hamacher Logistik leitet. Auf der Agenda stehen der neue Polenverkehr, den Weliver Anfang des Jahres aufgebaut hat, sowie die Auswirkungen der neuen Sim-Cargo-Netzstruktur. Hölscher ist zufrieden mit der direkteren Anbindung an die anderen Netzwerkpartner: „Wir haben jetzt sechs statt vorher zwei Ausgangsverkehre für Sim Cargo ex Großbeeren. Neu hinzugekommen sind die Linien nach München, Nürnberg, Hohenstein-Ernstthal sowie Recklinghausen. Für die Operative bedeutet das weniger Umschlag und kürzere Wege.“ Für Sim Cargo ist Weliver in dreifacher Funktion unterwegs: als Umschlagpunkt für die Fernverkehre, als Depot für die Nahverkehrsverteilung und als Gateway nach Osteuropa.

Darüber hinaus hat Weliver Anfang des Jahres einen eigenen Polenverkehr gestartet. Hölschers Einschätzung: „Der Service kommt gut an, da unsere Kunden nun Sendungen für Berlin/Brandenburg und Polen gebündelt einspeisen können. Wir fahren täglich 20 Aufträge zu unserem Verteilpartner in Polen und unser Lkw ist mit durchschnittlich acht Tonnen zu 70 Prozent ausgelastet.“ Der Lkw erreicht noch am selben Tag die innerpolnischen Anschlüsse zu den Zustelldepots. Etwa 90 Prozent werden im Zeitfenster bis 24 Stunden beim Endempfänger im Nachbarland zugestellt.

Protz und Hölscher sind glücklich, die Nische entdeckt zu haben. Denn – darin sind sich beide einig: Große Wachstumschancen werden sich in der industriearmen Region Berlin/Brandenburg kaum ergeben. Aus dem Ballungsgebiet heraus ließen sich keine nennenswerten zusätzlichen Mengen generieren. Doch etwas ist für Protz und Hölscher gesetzt: Dem harten Preiskampf geben sich die beiden Logistikprofis nicht hin. „Wir liegen moderat über dem regionalen Preisgefüge. Dafür sind wir bei der Termintreue bei 100 Prozent und haben eilige Sendungen schon wenige Minuten nach dem Eingang in der Zustellung“, fasst Protz zusammen, warum die Kunden bereit seien, für den Service etwas mehr zu zahlen. Mittlerweile zeigt der Zeiger 17:59 Uhr. Zeit für einen letzten Rundgang durch das Crossdock, bevor sich Protz und Hölscher in den Feierabend verabschieden. (zp/fh)

Ihr Feedback
Teilen
Drucken

Sie sind noch kein Abonnent?

Testen Sie DVZ oder DVZ-Brief 4 Wochen im Probeabo und überzeugen Sie sich von unserem umfassenden Informationsangebot.

  • Online Zugang
  • Täglicher Newsletter
  • Wöchentliches E-paper

 

Zum Probeabo

Jetzt DVZ oder DVZ-Brief 4 Wochen kostenlos testen

Sie sind noch kein Abonnent?

Testen Sie DVZ oder DVZ-Brief 4 Wochen im Probeabo und überzeugen Sie sich von unserem umfassenden Informationsangebot.

  • Online Zugang
  • Täglicher Newsletter
  • Wöchentliches E-paper

 

Zum Probeabo

Jetzt DVZ oder DVZ-Brief 4 Wochen kostenlos testen

Nach oben