Seemannsmission Antwerpen hilft Matrosen beim Landgang
A b 16 Uhr beginnt im International Seamen’s House in Antwerpen und bei der benachbarten Busgesellschaft die heiße Phase: Ständig klingelt das Telefon. Seeleute rufen an, die am Feierabend gerne einmal raus wollen aus dem zweitgrößten europäischen Hafen. Auch über Facebook und Kurznachrichtendienste kommen Wünsche rein, von den Bussen mitgenommen zu werden, die jeden Nachmittag von den im Antwerp Seafarers Welfare Club zusammengeschlossenen Seemannsmissionen und weiteren Organisationen losgeschickt werden. Bis 17 Uhr müssen sich Interessierte gemeldet haben. „Keine Minute später“, betont Marc Schippers, damit die Busfahrer rechtzeitig wissen, welche Liegeplätze sie jeweils anfahren sollen. Bis zu drei Busse machen sich täglich auf den Weg.
Der gebürtige Antwerpener Schippers arbeitet seit 22 Jahren als protestantischer Seemannspastor im Hafen; erst für die englische Sailors Society und seit gut einem Jahr als Stationsleiter der Deutschen Seemannsmission. Er organisiert unter anderem den Busdienst. Ohne diesen hätten die meisten Matrosen keine Chance, von Antwerpen etwas anders zu sehen als Kaianlagen, ist sich Schippers sicher. „Vom nördlichen Hafenrand bis zum Seemannsclub sind es 23 Kilometer, von den westlichsten Docks am linken Scheldeufer 20 Kilometer. Von dort kostet eine Taxifahrt bis hierher 80 bis 100 Euro. Das kann sich kein normaler Seemann leisten.“
Die Busse sind gratis. Der Service habe die Seemannsmission im vergangenen Jahr etwa 131.000 Euro gekostet, davon habe die Hafenverwaltung 125.000 Euro übernommen, sagt Schippers. Es gibt drei Routen mit Fahrplänen, die aber auch angepasst werden können, je nach Zahl der angemeldeten Mitfahrer. Insgesamt werden bis zu 44 Haltestellen angefahren. Jede ist mit einer Terminalnummer bezeichnet. Um 23 Uhr geht es dann vom Seemannsclub aus wieder zurück in den Hafen.
Kontakte werden beim Schiffsbesuch geknüpft
Während die Busse unterwegs sind, wirft Schippers einen Blick in seinen „rollenden Laden“, der in einem Lieferwagen untergebracht ist. Zahnpasta, Shampoo, Telefon- und SIM-Karten und jede Menge Süßigkeiten – alles ist noch in ausreichender Menge vorhanden. Der rollende Laden kommt zum Einsatz, wenn sich der Seemannspastor und seine Mitarbeiter – darunter meist drei junge Leute aus Deutschland, die im Rahmen des Jugendfreiwilligendienstes ein Jahr in Antwerpen sind – morgens auf den Weg zu Schiffsbesuchen machen. Erst werden die Schiffslisten studiert und dann geht es los zu den Liegeplätzen. Die Missionen haben sich dabei den Hafen aufgeteilt. Schippers betreut das linke Scheldeufer, wo viele RoRo- und Containerschiffe sowie Bulkcarrier festmachen.
„Die Schiffsbesuche sind das wichtigste, was ein Seemannspastor machen kann“, sagt Schippers. Nur so bekomme er Kontakt zu den Seeleuten, könne über den Busservice informieren, die Fahrpläne verteilen und hören, wo eventuell der Schuh drückt. Ein Seemann, der nach Antwerpen kommt, wisse oft noch nicht einmal, wo genau er sich im Hafen befindet. „Zu seinen zwei wichtigsten Fragen gehören: Wie komme ich aus dem Hafen heraus und was kostet mich das? Und: Wo bekomme ich günstig Guthabenkarten für Internet und Mobiltelefon?“ Mit letzterem kann Schippers dann gleich weiterhelfen.
Seeleute haben nur wenig Zeit
Über 13.000 Schiffe legen im Jahr in Antwerpen an, 6.000 bis 7.000 davon besuchen die Seemannspastoren. Pro Monat machen sich dann 400 bis 500 Seeleute auf den Weg in den Club der Seemannsmission mit Shop, Bar, Billardtisch und Beratungsstelle. Die Zahlen sind über die Jahre immer weiter gesunken. Schippers führt das hauptsächlich auf die kleineren Besatzungen und die kürzeren Liegezeiten zurück. Die Hälfte der Schiffe bleibe inzwischen weniger als 24 Stunden im Hafen. „Besonders auf den Containerschiffen haben die Matrosen immer sehr viel Arbeit und wenig Zeit.“ Manchmal untersage der Kapitän einen geplanten Landgang noch im letzten Moment. Die immer strengeren Sicherheitsvorkehrungen im Hafen, etwa zur Bekämpfung von Drogenschmuggel, machen es zudem komplizierter, das Gelände zu verlassen.
An Sonntagnachmittagen, wenn das Wetter mitspielt, bietet Schippers den Seeleuten an, statt zum Club zur Sportanlage der Seemannsmission zu fahren. Dort werden dann Teams gebildet und gespielt – seit einigen Jahren hauptsächlich Basketball. Früher gab es mehr Fußballspiele.
Zwischen Seelsorge und Shopping
An diesem Tag fährt der Bus aber zum Club und bringt 14 Seeleute von drei Schiffen mit. Die meisten stammen von den Philippinen. Nach der Begrüßung geht es erst einmal in den Shop. Hier gibt es günstige Lebensmittel, Toilettenartikel, aber auch Souvenirs und Secondhandkleidung, die der Seemannsmission gespendet wird. Marjohn Parcon, der mit einem Tanker aus Rostock gekommen ist und zwei Tage bleibt, sucht eine neue Brille. Damit er die Sehstärke testen kann, bringt ihn Schippers zu einer Landkarte mit ganz kleinen Buchstaben. „Meine Arbeit ist spirituell, aber oft auch sehr praxisorientiert“, sagt er.
Manche Seeleute suchen auch seelsorgerische Gespräche oder Hilfe wegen Problemen mit dem Kapitän oder mit Kollegen. Heute wollen aber alle schnell weiter, in die Innenstadt. „Wir wollen mal schauen, was es hier gibt, das anders ist als auf den Philippinen“, sagt Parcon, die neue Brille in der Hand. Einer der Kollegen hat einen großen Fotoapparat um den Hals hängen. Vom Antwerpener Opernhaus haben sie gehört, das soll ihre erste Station sein. Einen Straßenbahnplan und Fahrkarten bekommen die Männer im Shop.
Dort steht heute die freiwillige Mitarbeiterin Frieda Vandevoort an der Kasse. Warme Kleidung kaufen Seeleute aus südlichen Ländern oft bei ihr, sagt sie. Souvenirs sind auch sehr gefragt. Besonders, wenn es bald nach Hause geht: Kühlschrankmagneten, Tassen, T-Shirts, Parfum und belgische Schokolade. „Ich versuche auch immer, mit den Menschen zu sprechen. Manche reden dann auch gerne, erzählen zum Beispiel von der Familie“, sagt Vandevoort.
So wie Sherwin Dalida. Er hat Zeit, denn er ist nach drei Monaten Heimaturlaub in Manila nach Antwerpen gekommen und wartet im Hotel des Seemannsclubs jetzt auf das Schiff, auf dem er für die nächsten fünf Monate angeheuert hat. Der Stückgutfrachter soll aus Frankreich kommen und dann nach Afrika weiterfahren. Seit 28 Jahren fährt der 50-jährige zur See, wie schon sein Vater und sein Großvater und inzwischen auch sein Sohn. In die Clubs der Seemannsmissionen geht er überall auf der Welt. Zum einen wegen der bezahlbaren Preise im Shop, zum anderen zur Entspannung: „Man sieht mal andere Gesichter, trifft andere Menschen. An Bord ist man immer mit denselben Leuten zusammen, manchmal für zehn Monate oder ein Jahr“, sagt Dalida.
Ohne die Fahrdienste sei es oft wirklich schwierig, aus den Häfen herauszukommen. „Zum Beispiel in Rotterdam ist man ohne Seemannsclub völlig verloren. Der Hafen ist sehr groß, niemand fährt da hin, kein Bus, gar nichts. Ohne Seemannsmission würden wir da feststecken“, sagt Dalida.