Deutscher Logistik-Kongress: Zehn Botschaften aus Berlin
Rund 2.000 Teilnehmer trafen sich in diesem Jahr beim Deutschen Logistik-Kongress. Es drehte sich alles um Lieferkettenthemen wie Resilienz, geopolitische Einflüsse, Logistikpartnerschaften und Nachhaltigkeit. Wir haben für Sie noch einmal wichtige Aussagen zusammengefasst.
Lieferketten im Wandel
In seiner Eröffnungsrede sprach Thomas Wimmer von einer Zeit der Zukunftsängste, der Irrationalitäten sowie der zunehmend nationalen Egoismen. Chinas Rolle als Fabrik der Welt sieht er „nachhaltig gefährdet“. Warenströme und Wertschöpfungsketten seien im dramatischen Wandel. „Und auch in Europa befinden wir uns in einem Wandel“, ergänzte der Vorstandsvorsitzende der Bundesvereinigung Logistik (BVL) mit Blick auf Russlands Angriffskrieg.
Mit Bezug auf das Kongressmotto „Supply Chains matter!“ sagte Wimmer: „Verfügbarkeit ist die neue Währung, Flexibilität geht vor Kosten, Dual und Multiple Sourcing sind die Gebote der Stunde.“ Und weiter: „Ernsthafte Nachhaltigkeit spielt eine immer größere Rolle – in unserem täglichen Tun, in den Strategien, aber auch in der Wahrnehmung von Politik und Gesellschaft.“
Sourcing auf dem Prüfstand
„Unsere Kunden sind massiv gefordert, ihre Sourcing-Strukturen zu ändern”, berichtete Dachser-Chef Burkhard Eling. Es gehe unter anderem darum, sich regional neu aufzustellen und die Lagerhaltung zu erhöhen. Letztlich verteuere sich alles, weil der Aufwand für die Logistik steige. „Von Just in Time werden wir so schnell nichts mehr hören“, ist der CEO überzeugt. Das alles sei aber nicht das Ende der Globalisierung. „Es wird immer ein Sourcing rund um die Welt geben. Aber die Rahmenbedingungen sind sehr viel komplexer und komplizierter geworden.“ Sein Unternehmen richte das Geschäft weiter klar am globalen Handel und an globalen Lieferketten aus. Die Krisen hätten die Logistik bei den Kunden deutlich in den Vordergrund gerückt: „Während Logistik früher eine Selbstverständlichkeit war, ist sie heute ein entscheidender Erfolgsfaktor“, sagte Eling in Berlin.
Shift vom Preisdenken zur Zuverlässigkeit
Der Krisenmodus der vergangenen zweieinhalb Jahre hat sich auf die Beziehungen zwischen Verladern und Dienstleistern ausgewirkt. Das früher oft als Kriterium herangezogene Preisargument wird zusehends in den Hintergrund gedrängt – was zählt, ist mittlerweile die Zuverlässigkeit. Zu diesem Schluss kamen die Teilnehmer einer Diskussion am Kongress-Donnerstag. „Wir reden gar nicht mehr mit Auftraggebern, die keine langfristigen Engagements wollen“, sagte Stefan Ulrich, CEO von Simon Hegele.
Dass langfristige Kontrakte und Geschäftsbeziehungen nicht nur für die Logistiker, sondern auch für die Verlader Vorteile bringen, bestätigte Mike Schmidt, Director Logistics beim Bekleidungshändler Engelbert Strauss. Sein Argument: Wer sich kennt, weiß um die Stärken und Fähigkeiten des jeweils anderen. Dann aber ist der Stückpreis von untergeordneter Bedeutung. „Diesen als alleinige Basis für die Auswahl des Dienstleisters anzusetzen, spiegelt die Hoffnung wider, dass über einen exzellenten Stückpreis auch der beste Dienstleister gewählt wird.“ Diese Hoffnung sei aber falsch. Marek Schröder, Leiter Logistik & Einkauf Non-Food beim Hersteller H. & J. Brüggen, ergänzte: „Es geht darum, dass die Dienstleister das Geschäft strukturell beherrschen. Die Preise sollten gut sein, aber es muss nicht der günstigste Preis sein.“
Mehr Häfen-Kooperationen
Vor zahlreichen Herausforderungen stehen derzeit die Seehäfen. Neben Engpässen im Hinterland, Personalmangel und dem Umstieg auf eine umweltfreundliche Abwicklung ihrer Logistikaktivitäten kommen jetzt auch noch die Folgen des Ukraine-Krieges und die drohende Rezession dazu.
Um als Anlaufpunkt für die Reedereien in Zukunft eine große Attraktivität auszuüben, versuchen die Seehäfen verstärkt, in Kooperationen zu arbeiten. Luc Arnouts, Vorstand von Port of Antwerp-Bruges, sieht in dem in diesem Jahr vollzogenen Zusammenschluss der Häfen Antwerpen und Zeebrugge die Chance, „größer und finanziell robuster zu werden“ und so eine größere Rolle in der Logistikkette spielen zu können. Und BLG-Chef Frank Dreeke, der zugleich Präsident des Zentralverbands der deutschen Seehafenbetriebe (ZDS) ist, hält es für notwendig, dass die deutschen Seehäfen enger zusammenarbeiten und die derzeit auf Eis gelegten Gespräche zwischen der BLG und der HHLA wieder aufgenommen werden. „Denn Kooperation ist die Antwort der Häfen auf die Zukunft“, sagte Dreeke in Berlin.
Wandel auf dem Arbeitsmarkt
Der demografische Wandel schreitet voran, und die junge Generation Z sorgt für Wirbel auf dem Arbeitsmarkt. „Es ist für die Logistik kurz vor zwölf, diesen Wandel mitzugehen“, mahnte Sabrina Krauss, Professorin für Psychologie an der SRH Hochschule, in einer Diskussionsrunde.
Die Ansätze aus der Branche sind vielfältig: Das Start-up Fernride setzt beispielsweise auf Teleoperation. Eine Technik, die es Fahrern ermöglicht, Lkw per Fernsteuerung zu koordinieren, sagte Bene Fried, Senior Business Developer bei dem Münchner Unternehmen. Weg von der körperlich harten Arbeit, hin zum digitalen Flottenmanagement und zu einer ausgewogeneren Work-Life-Balance. So könnten künftig auch mehr Frauen oder Menschen mit Behinderung angelockt werden.
Auch dem Berliner Start-up German Bionic ist die Reduzierung der physischen Belastung für Logistiker ein Anliegen. Dafür hat das Unternehmen Exoskelette entwickelt, die gesundheitlichen Folgeschäden vorbeugen sollen. Insgesamt waren sich die Teilnehmenden einig: Mensch und Technologie müssen weiter Hand in Hand gehen.
Batterieproduktion ist eine andere Welt
Volkswagen will künftig die Batterien für seine E-Autos selbst herstellen. Ein Grund: Der Markt für die Batteriezellen liegt in der Hand weniger großer Firmen in Asien. In solch eine gefährliche Abhängigkeit will sich VW nicht begeben. Das erfordert eine ausgeklügelte Logistik, wie Matthias Braun, Leiter Logistik des neuen Batterieunternehmens Powerco, in Berlin aufzeigte. In der Tochterfirma in Salzgitter fasst der Konzern die Aktivitäten für die Batterie-Wertschöpfungskette zusammen. „Mit dem Bau von Batteriezellen tauchen wir in eine ganz andere Welt ein“, sagte Braun. So sei die Lieferantenbasis eine komplett andere. Hinzu kämen sehr hohe Anforderungen an die Hygiene.
Bei den Prozessen werde Built-to-Order auf Built-to-Stock treffen. „Denn wir werden auf Lager und unsere Fahrzeugwerke nach Kundenauftrag produzieren.“ Bei den Prozessen, die der Batteriefertigung vorgelagert sind, müsse VW zudem ganz andere Wege gehen. Hier gehe es weit über die Stufe der 1st-Tier-Lieferanten hinaus. Braun sprach von einer „kompletten horizontalen Integration unserer Partner innerhalb der Prozesskette“. Und das alles – die Kette von der Mine bis zum Verbau im Fahrzeug – gelte es aktiv zu steuern, zu beeinflussen, mitzugestalten und zu kontrollieren. „Daraus ergibt sich eine einmalige Chance, jetzt innerhalb der Automobilindustrie eine End-to-End-Kette aufzubauen.“ Funktionieren könnte dies alles in etwa zwei bis drei Jahren, schätzt Braun.
Infrastruktur als Staatsziel ins Grundgesetz
Die verlässliche Infrastruktur sollte ins Grundgesetz aufgenommen werden. So sei es einfacher, bedeutende Verkehrsprojekte nicht durch die öffentliche Verwaltung, sondern per Gesetz zu beschließen. Das sagte Verkehrsstaatssekretär Oliver Luksic (FDP) in Berlin. „Wir haben einen Formulierungsvorschlag dem Kabinett zugeleitet und die Fraktionen verständigt.“ Im Herbst plane das Ministerium ein Gesetzespaket, um Planung und Genehmigungen von großen Infrastrukturprojekten schneller voranzubringen. Dort sollten auch Vorhaben des Deutschlandtakts und der Schiene aufgenommen werden. Zur Dekarbonisierung sagte er, dass möglichst viel Verkehr auf die Schiene verlagert werden soll. Doch Engpässe im Netz seien problematisch. „Wir müssen dringend investieren.“ Das Ministerium wolle dabei mehr in Korridoren denken und das Netz so leistungsfähig machen.
Geopolitik beeinflusst Auftragsvergabe
Marie Niehaus-Langer ist CEO des Unternehmens EOS – Electro Optical Systems, einem Anbieter für industriellen 3-D-Druck. In Sachen Resilienz betonte sie: „Wir brauchen alle eine gewisse Agilität im Unternehmen und in den Köpfen.“ Ob Unternehmensführung oder Mitarbeiter: Veränderungen müssten für alle okay sein. „Idealerweise folgt alles einem Plan. Aber das ist nicht die Realität“, fügte sie hinzu. Der Angriff Russlands auf die Ukraine habe bei EOS bewirkt, dass das Unternehmen nun geopolitische Dynamiken sehr ernst nehme. 3-D-Druck ist eine Dual-Use-Technik. Es ist also nicht ausgeschlossen, dass sie auch für militärische Zwecke genutzt wird. Das Unternehmen wolle daher konsequent nur Aufträge von Kunden aus Ländern annehmen, in denen es ein demokratisches Grundverständnis gibt, sagte Niehaus-Langer. Das setze voraus, dass Vertriebsmitarbeiter intensiv geschult werden, weshalb EOS eine Initiative „Know your customer“ auf den Weg gebracht habe.
Viel Unsicherheit im Weihnachtsgeschäft
Der E-Commerce gerate nun erstmals von beiden Seiten unter Druck, sagte Handelslogistik-Professor Christoph Tripp in Berlin. Lange gab es Probleme auf der Beschaffungsseite. Gleichzeitig ist nun die Nachfrage immer unkalkulierbarer geworden. „Mit Blick auf das Weihnachtsgeschäft habe ich bisher keine valide Prognose gehört.“ Die Überbestände seien teilweise extrem. „Das ist eine riesige Herausforderung für die Logistik, hier die benötigten Flächen zu schaffen.“ In Deutschland werde das Weihnachtsbudget gerade im wahrsten Sinne des Wortes verheizt. Tripp: „Die Logistik muss nun einerseits extrem flexibel auf die schwer vorhersagbaren Entwicklungen reagieren und andererseits wieder robust funktionieren.“
Nachhaltigkeit ist im Aufwind
Zum Abschluss des Kongresses gab es noch etwas Promi-Flair: Nico Rosberg, Formel-1-Weltmeister von 2016, sprach auf der Bühne. Der Ex-Rennfahrer hat in zahlreiche Start-ups aus den Bereichen grüne Technologien und alternative Mobilitätslösungen investiert. Er hofft, dass auch der deutsche Mittelstand inklusive seiner vielen Logistikfirmen verstärkt Innovationen in Richtung von mehr Umweltverträglichkeit vorantreibt. „Das Gute ist, dass die Geschäftsmodelle rund um die Nachhaltigkeit zunehmend aufgehen“, sagte Rosberg. „Es ist toll zu sehen, dass man damit jetzt richtig Geld verdienen kann.“
Angesichts der bevorstehenden düsteren Herbst- und Wintermonate für die deutsche Wirtschaft, die gerade für einige Mittelständler existenzbedrohend werden könnten, meinte er: „Überleben ist natürlich immer erst einmal das Wichtigste. Ich verstehe, dass die Lage nun für einige Unternehmen schwieriger wird. Zugleich sehe ich aber, dass das Interesse für den Wandel in vielen Bereichen durch die aktuelle Energiesituation gerade größer wird – Nachhaltigkeit ist im Aufwind.“ Mittelfristig gesehen sei der Wandel sowieso nicht mehr aufzuhalten. „Und dafür brauchen wir natürlich auch die Logistik.“ Bei allen Bemühungen in Sachen Nachhaltigkeit sei es entscheidend, Emissionen auch wirklich zu senken. Rosberg: „CO2-Kompensation ist nur eine Notlösung.“