Ein On Board Courier muss manchmal auch „Leben liefern“

Bernd Brüggemann ist als On Board Courier (OBC) weltweit unterwegs. Nachdem er eine Stammzellenspende aus Deutschland in eine Transplantationsklinik in den USA gebracht hat, wofür er nicht länger als 72 Stunden brauchen darf, schläft er während seines Rückflugs aus den USA nach Deutschland.

Abflughallen müssen OBC zu allen möglichen Tag- und Nachtzeiten aufsuchen. (Foto: iStockphoto/Thomas Müller)

Er nennt es „Leben liefern“. Vor 24 Stunden hat Bernd Brüggemann eine Stammzellenspende in Sacramen- to (USA) persönlich in einem Transplantationszentrum abgegeben. Er ist da- für frühmorgens in Frankfurt am Main ins Flugzeug gestiegen, nachdem er die Zellen eines Spenders an einem Krankenhaus selbst abgeholt hat.

Nach der Stammzellentnahme gilt es, sehr schnell zu sein: Die Spende muss innerhalb von 72 Stunden im Transplantationsklinikum beim Empfänger ankommen, der dringend auf seine Behandlung wartet und am anderen Ende der Welt liegen kann. Einige Spediteure haben eine Spezialabteilung für diese Leistung aufgebaut. Sie greifen auf OBCs zurück, die strengen Auswahlkriterien unterliegen und regelmäßig umfangreich geschult werden. Für solche Aufträge nutzt Brüggemann eine spezielle Box, in der die Temperatur der Stammzellen bis zu 96 Stunden bei konstant fünf Grad Celsius gehalten wird. Das Gut selbst wird wie eine Blutkonserve in einem Beu- tel verpackt. Die Box lässt er nicht aus den Augen, sie wird immer „on hand“ mitgeführt.

Brüggemann übernimmt solche Touren gern. Die Wertschätzung, die ihm und seiner „Ladung“ bei der Abfertigung und im Flugzeug entgegengebracht wird, ist deutlich höher als beim Transport dringend benötigter Maschinenteile. Zugleich sind Stammzellenbeförderungen deutlich besser planbar. Spender und Empfänger werden vorbereitet, der passende Zeitpunkt für die Entnahme und die Transplantation festgelegt, die beste Route in Ruhe gebucht.

Mittlerweile kann Bernd Brüggemann immer und überall schlafen – am liebsten aber zuhause im eigenen Bett. Und statt der harten Bestuhlung im Abflugterminal bevorzugt er ein Hotel, wenn er nicht direkt einen Flieger zurück nehmen kann oder noch ein bisschen Sightseeing eingeplant hat. (Foto: Bernd Brüggemann)

Gepackter Rucksack ist immer griffbereit

Ersatzteile für die Automobil- oder Luftfahrtindustrie schnellstmöglich von A nach B zu bringen, ist das Brot-und-Butter-Geschäft von Brüggemanns Firma Flash-Cargo e.K. mit Sitz in Hamburg. Zudem kümmert sich das Abfertigungsunternehmen mit 17 Mitarbeitenden seit 25 Jahren um die Verzollung von Luft- und Seefracht für verschiedene Kunden. Für Airbus, Lufthansa Technik, Bolloré Logistics und weitere ist Flash-Cargo im Eilgeschäft unterwegs. Ein gepackter Rucksack steht seit 25 Jahren neben Brüggemanns Schreibtisch. Die Anfragen kommen 24/7 und drei Stunden später hebt der OBC meist ab.

Bis dahin wurde der Flug gebucht, das Produkt abgeholt, die Exportverzollung am Flughafen erledigt. Am Empfangsflughafen folgt die Importverzollung, dann geht es per Taxi zum Kunden. Oft wird das Teil direkt beim Techniker abgegeben, die Ablieferquittung wird unterschrieben und der OBC fährt zurück zum Flughafen oder in ein Hotel. Handelt es sich um noch unbekannte Destinationen, versucht der Vielflieger, sich vor Ort ein wenig umzuschauen. Ob Australien, Chile, China, Großbritannien, Honduras, Hongkong, Indien, Kolumbien, Mexiko, Singapur, Taiwan oder USA: Bisher hat er – außer in Honduras aufgrund der Sicherheitslage – vor allem positive Erfahrungen gemacht.

Schwierigkeiten sind insgesamt selten. Wird die Sendung als Gepäck aufgegeben, kann es sein, dass sie nicht gleichzeitig mit dem OBC am Ankunftsflughafen ankommt. Dann muss der Kurier in der Regel am nächsten Tag erneut zum Flughafen kommen. Oder der Agent ist nicht pünktlich am Airport. Manchmal gibt es Unstimmigkeiten mit dem Zoll im Empfangsland über den Warenwert. Dann zahlt man eben mehr und leitet die Information – wie stetig alle Daten zum jeweils aktuellen Transportstatus – an den Auftraggeber weiter. Diskussionen wären kontraproduktiv. Hin und wieder besteht die aufgegebene Sendung auch aus so vielen Teilen, dass sie zum Ärger anderer Passagiere das gesamte Kofferband blockiert.

Harter Wettbewerb

Brüggemann reist gern. Doch der Job als OBC ist weder luxuriös – meist wird Economy geflogen – noch romantisch, sondern hart umkämpft. Der Wettbewerb geht auch über den Preis, erzählt er. Zum Stammzellentransport ist er gekommen „über jemanden, der einen kennt, der einen kennt“. Nach seiner Zeit bei der Marine hat er zunächst Großveranstaltungen organisiert und eine kaufmännische Ausbildung gemacht. Danach ist er über einen Bekannten in das Segment Kurierfahrten eingestiegen und dann Handling-Partner bei Airbus geworden. Bald kamen Anfragen für Sonderfahrten etwa zwischen Hamburg und dem Frankfurter Rhein-Main-Airport. Zwei seiner Fahrzeuge waren lange jede Nacht auf dieser Route unterwegs. Schon vor mehr als 20 Jahren hat Brüggemann dann das erste Ersatzteil „mal schnell persönlich“ nach London geflogen. Unter der Wirtschaftskrise 2008/2009 hat das Unternehmen sehr gelitten, dann wieder unter den Einschränkungen während der Corona-Pandemie. Aktuell setzen erneut die Treibstoffkosten dem Geschäft zu, Sonderfahrten sind den Kunden nun oft zu teuer.

Wenn er in Hamburg ist, fährt der 63-Jährige nur noch zwei bis drei Mal pro Woche ins Büro. Einer seiner Söhne ist bereits bei Flash-Cargo e.K. fest verankert. Die Chance für ihn und seine Frau, ein etwas planbareres Leben zu führen, sich mehr um die drei Enkeltöchter und die Ferienwohnung in Mecklenburg-Vorpommern zu kümmern. Nun klingelt auch nicht mehr jede Nacht zwischen zwei und vier Uhr sein Telefon auf dem Nachttisch. Doch selbst wenn er sich langsam aus dem operativen Geschäft zurückzieht: Einen gepackten Rucksack wird er auch künftig immer parat haben. Vor allem möchte er weiterhin „Leben liefern“. (fh)

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