Nachtschicht: Mit dem Schwertransporter über die Elbe

Nachtschicht auf der Norderelbbrücke: Bis zu 20 Schwertransporte passieren pro Nacht die 60 Jahre alte Stahlkonstruktion - bei Vollsperrung für den anderen Verkehr in beiden Richtungen.

Im Schritttempo rollen Schwertransporte über die Brücke. (Foto: Autobahn GmbH)

Sebastian („Vorname reicht doch!“) kennt das Prozedere aus dem Effeff. Er und seine Kollegen vom Schwertransportunternehmen Rostock Trans stehen bereit. Nur noch wenige Minuten, dann ist es 0 Uhr und ihre Nachtschicht beginnt. Die Aufgabe: die 127 Tonnen schweren Lkw, beladen mit 15 Meter langen Turmelementen, aus Dänemark über Nacht ihrem Ziel, einem Windpark in der Nähe von Paderborn, ein Stück näherzubringen. Am Abend zuvor haben sie ihre Schwergewichte auf dem Parkplatz Ahrensburg Ellerbrook West an der A1 abgestellt. Jetzt warten sie auf das Kommando von Vanessa Stolzenberg, damit sich die drei Lkw in Richtung Norderelbbrücke in Bewegung setzen können. Stolzenberg gehört zum Team von Ewert Hamburg, einem privaten Dienstleister für die Sicherung von Großraum- und Schwertransporten (GST).

Im Schrittempo passieren die drei Schwertransporteinheiten von Rostock Trans nacheinander die Norderelbbrücke. (Foto: Nicole de Jong)

Die junge Frau fährt das Begleitfahrzeug (BF) 4 und bildet das Schlusslicht der Kolonne mit der Berechtigung, die Autobahn zu sperren. Nacht für Nacht begleitet sie die GST über die Norderelbbrücke. Nacht für Nacht wird die 60 Jahre alte Stahlkonstruktion dafür bis zu acht Mal für zusammen bis zu 20 GST komplett in beiden Fahrtrichtungen gesperrt. Jedes Mal passieren bis zu drei Schwerlasttransporte die Brücke. „Die schweren Lkw bringen die Brücke zum Schwingen. Der dynamische Verkehr aus der Gegenrichtung verursacht eine Gegenschwingung. Das belastet die alte Brücke enorm“, erläutert Christian Merl, Sprecher der Autobahn GmbH Nord. Deshalb dürfen Sebastian und seine Kollegen die Brücke nur bei stehendem Verkehr im Schritttempo überqueren, einer nach dem anderen. Nach jeder Überfahrt bleibt die Brücke noch weitere fünf Minuten geschlossen, damit sie ausschwingen kann.

Zuvor haben Sebastian (Foto) und seine Kollegen bei Ahrensburg auf einem Autobahnparkplatz auf die Begleitfahrzeuge und das Signal zur Weiterfahrt gewartet. In der Nacht werden sie noch bis Bad Salzuflen kommen, schlafen, und am Abend ihre letzte Etappe bis Paderborn in Angriff nehmen. (Foto: Nicole de Jong)

Situation für GST verbessert

Schnell, kreativ und flexibel zu sein, hat sich P. Schwandner Logistik + Transport auf die Fahnen geschrieben. Und das muss der auf GST spezialisierte Spediteur auch sein, denn nicht immer läuft alles reibungslos. „Bei den Genehmigungsverfahren hat sich die Situation aber entspannt“, sagt Disponent Enrico Hampl. Und auch die Zusammenarbeit mit der Autobahn GmbH des Bundes, die zen- tral und bundesweit für Planung, Bau, Betrieb, Erhaltung, Verwaltung und Finanzierung der Autobahnen und damit für mehr als 13.000 Kilometer verantwortlich ist, funktioniere gut.

„Als beispielsweise im Februar die Autobahn 27 abzusacken drohte und von jetzt auf nachher gesperrt wurde, haben wir innerhalb von vier Tagen Genehmigungen für die Sondernutzung bekommen. Eine Woche später konnten wir die ersten Transporte über die Ausweichroute fahren“, betont Hampl. Zwar seien solche Fälle mit viel Arbeit verbunden, „aber die Behörden haben uns gut unterstützt“, lobt er. Schwandner transportiert unter anderem Flügel und Türme für Windkraftanlagen von Cuxhaven ins Hinterland.

Kummer bereitet ihm die aktuelle Baustellensituation: „Die Infrastruktur ist marode, viele Straßen und Brücken werden saniert. Von Cuxhaven bis München gibt es unendlich viele Baustellen“, erzählt er. Bei Schwandner sind jede Nacht allein für den Windbereich 134 Lkw unterwegs. Auf jeder Strecke gibt es drei bis vier Baustellen, an denen die Lkw stundenlang stehen. „Viele davon werden wegen Notfällen kurzfristig angekündigt, wie neulich auf der A27“, sagt er. Zwar zeigt das Portal der Autobahn GmbH alle aktuellen Baustellen an, aber es kommt nicht selten vor, dass der Lkw schon unterwegs ist, wenn die Meldung aufblinkt.

Problem: kurzfristige Sperrungen

Die Autobahn GmbH, die es seit Januar 2021 gibt, arbeitet als erste verfahrensbeteiligte Behörde voll digitalisiert. Das Prüfmodul GST.Autobahn verarbeitet alle erforderlichen Karten-, Geometrie- und Bauwerksdaten digital und datenbankbasiert. „Wir erteilen nie die Genehmigung, das machen ausschließlich die Länder“, erläutert Merl. „Wir stellen auf unserer Website Übersichten zur Verfügung, wo und wann es zu Einschränkungen auf den Autobahnen kommt“, ergänzt Nick Wieland, ebenfalls von der Autobahn GmbH. Natürlich gebe es auch immer wieder ungeplante Maßnahmen, wie die Sperrung der A27.

Die Spediteure müssen vor Fahrt- antritt prüfen, ob die Strecke frei ist. Zwar sind alle Großbaustellen im System hinterlegt und spätestens ein Jahr vorher ist bekannt, von wann bis wann und wo die Baustelle eingerichtet wird. Das nützt dem Spediteur natürlich nichts bei Asphaltaufbrüchen, starken Spurrillen, bei Unfällen, ausgelaufenem Öl oder wie im Fall der A27 dem drohenden Absacken der Fahrbahn. „Wir sind aber immer bemüht, schnell alternative Strecken zu finden, damit ein Schiff im Hamburger Hafen noch erreicht werden kann“, betont Merl.

Dass die Digitalisierung bei GST gut vorankommt, bestätigt der Osnabrücker Schwerlastspediteur Siegfried Serrahn. „Dank des Prüfmoduls GST.Autobahn dauert es nur noch zwei bis drei Tage, bis eine Auskunft über die Befahrbarkeit einer bestimmten Strecke vorliegt“, sagt er. Manchmal gebe es diese sogar schon am selben Tag. Anders sehe es bei den Antrags- und Genehmigungsverfahren aus: Diese würden zwar bereits seit 2007 automatisiert über das Länderportal Verfahrensmanagement für Großraum- und Schwertransporte (VEMAGS) abgewickelt, aber der digitale Austausch aller Daten zwischen den IT-Systemen sei noch nicht medienbruchfrei möglich. „Zudem müssen die antragstellenden Transportunternehmen die Daten bislang noch manuell eingeben“, bemängelt Serrahn. Es gibt weiteren Verbesserungsbedarf: Da die Richtlinie für den Großraum- und Schwertransport – kurz RGST – veraltet ist, appelliert die Verbändeinitiative Großraum- und Schwertransporte (VI GST) an die Politik, sie dringend zu aktualisieren. „In der bisherigen Richtlinie ist unter anderem festgelegt, dass Beifahrer bei GST fachkundige Personen sein müssen. Das ist angesichts des bekannten Fachkräftemangels nicht mehr zeitgemäß“, sagt Serrahn. Ein Schritt in die richtige Richtung sei der mehrsprachige elektronische Beifahrer, ein digitales Fahrerassistenzsystem, welches derzeit in einem bundesweiten Pilotprojekt getestet wird.

Unterdessen haben Sebastian und seine Kollegen ihren nächsten Stopp, den Parkplatz Lipperland an der A2, erreicht und legen sich schlafen, während der Tag langsam erwacht. (zp/fh)

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