In Teilzeit Logistiker werden
Manchmal geht es einfach nicht in Vollzeit. Etwa für Menschen, die sich um Kinder beziehungsweise pflegebedürftige Personen kümmern oder die körperlichen Einschränkungen unterliegen. Das gilt allerdings nicht nur für Berufstätige, sondern ebenso für Auszubildende. Schließlich lassen sich auch im dualen System betriebliche Arbeitszeiten oft nur schwer mit der Kinderbetreuung vereinbaren.
Bereits 2005 hat daher der Gesetzgeber im Zuge der Novellierung des Berufsausbildungsgesetz (BBiG) die Möglichkeit zur beruflichen Ausbildung in Teilzeit rechtlich verankert. Während in der Vergangenheit allerdings nur Kindererziehung, Pflege und vergleichbar schwerwiegende Gründe die Möglichkeit zur Teilzeitausbildung eröffneten, wurde diese im Zuge des Berufsbildungsmodernisierungsgesetzes im Jahr 2020 deutlich gestärkt und attraktiver ausgestaltet.
Keine reine Ausnahmelösung
Statt einer Ausnahmelösung für einen kleinen Adressatenkreis wurde beispielsweise eine Gestaltungsoption für alle Auszubildenden geschaffen, indem in der gesonderten Regelung des Paragrafen 7a BBiG die Notwendigkeit eines „berechtigten Interesses“ des früheren Paragrafen 8 Absatz 1 Satz 2 BBiG entfällt. Die Neuregelung öffnet die Teilzeitberufsausbildung seitdem auch für Personen, die nicht die bisher anerkannten Gründe anführen können, etwa Menschen mit Behinderung oder mit einer Lernbeeinträchtigung, aber auch Geflüchtete, die ihre Familie durch eine die Ausbildung begleitende Erwerbstätigkeit unterstützen wollen oder müssen.
Wenig bekannte Alternative
Dass diese Möglichkeit besteht, wissen allerdings nicht immer alle Beteiligten. So hatte sich bei der Zufall Logistics Group 2018 eine junge, alleinerziehende Frau auf einen Ausbildungsplatz als Kauffrau für Spedition und Logistikdienstleistung beworben. „Unser damaliger Personalleiter fragte sich, ob die Belastung nicht zu groß wäre, und bot ihr an, die Ausbildung in Teilzeit zu absolvieren“, berichtet Silke Göbel, Teamleiterin für das Bewerbermanagement/Aus- und Weiterbildung und Ausbilderin.
Dass sich diese Frau nach zweieinhalb Jahren dazu entschied, ihre Logistikausbildung abzubrechen und in einem anderen Unternehmen als Bürokauffrau fortzusetzen, änderte bei Zufall nichts. Als Anastasia Mittler sich 2019 als Alleinerziehende explizit auf einen Teilzeit-Ausbildungsplatz bewarb, war dies kein Hindernis. Und seit August 2022 gibt es mit Selina Osmanoska eine weitere Auszubildende in Teilzeit. Hier war es das Unternehmen, das der aufgrund einer Erkrankung im Rollstuhl sitzenden Schülerin dieses Teilzeitmodell vorschlug.
Allerdings ist die Teilzeitausbildung noch kein festes Element im Angebot des Logistikdienstleisters, sondern eine individuelle Regelung. „Wir entscheiden von Fall zu Fall“, berichtet Karin Hintz, Abteilungsleiterin Human Ressources und verantwortlich für die Ausbildung am Standort Haiger. Teilzeit ist im Unternehmen nicht unüblich. „Ich selbst arbeite vier Tage pro Woche“, sagt Göbel. Und Hintz räumt gleich noch ein Vorurteil aus: „Die Befürchtung, dass Alleinerziehende häufiger ausfallen, hat sich nicht bewahrheitet.“
Einige Dinge gelte es jedoch zu bedenken, merkt Göbel an. So könnten Ausbildungsveranstaltungen nur vormittags stattfinden, und auch ganztägige Weiterbildungen müsse man entsprechend organisieren. Teilzeit lasse sich zudem nicht in allen Berufsfeldern ohne weiteres umsetzen: „Im gewerblichen Bereich ist das für uns derzeit schwer vorstellbar.“ Insgesamt aber fällt das Resümee positiv aus: „Auch wenn das Modell sicher nicht das Problem des Fachkräftemangels lösen wird, sollte es bekannter werden“, sagt Göbel.
Bessere Work-Life-Balance
Bei der Koordinierungsstelle Weiterbildung und Beschäftigung (KWB) in Hamburg, die sich zum Ziel gesetzt hat, die Teilzeitausbildung als alternatives Ausbildungsmodell in Hamburg bekannter zu machen und auszuweiten, positioniert man sich sehr deutlich: „Wer heutzutage immer noch nicht in Teilzeit ausbildet, wird künftig starke Probleme haben, Ausbildungsplätze überhaupt noch besetzen zu können. Die Teilzeitausbildung ist familienfreundlich, modern und steigert die Arbeitgeberattraktivität“, stellt KWB-Projektleiterin Christine Robben fest, und geht noch einen Schritt weiter: „Work-Life-Balance ist einer der wichtigsten Faktoren für junge Menschen, die in den Beruf einsteigen, unabhängig davon, ob sie Familienverantwortung haben oder nicht.“
Das Potenzial der Teilzeitausbildung schätzt man bei der KWB sehr hoch ein, da es seit 2020 auch für Menschen mit besonderen individuellen Lebensumständen und Verpflichtungen offen sei. Zudem habe eine Teilzeitausbildung einige Vorteile für die Unternehmen. So seien die Teilzeitauszubildenden erfahrungsgemäß besonders motiviert und engagiert und brächten ein gewisses Maß an Lebenserfahrung mit. Zudem könne das Angebot einer Teilzeitausbildung gerade kleineren Unternehmen helfen, das Nachwuchsproblem in den Griff zu bekommen. (ben)