Nachwuchskräfte langfristig binden
Die deutsche Wirtschaft blickt mit Sorge auf den bevorstehenden Renteneintritt der sogenannten Babyboomer. Bis 2036 werden nach Angaben des Statistischen Bundesamtes 12,9 Millionen Erwerbspersonen das Renteneintrittsalter überschritten haben. Damit entsteht eine gewaltige Lücke, die die nachrückenden Generationen zahlenmäßig nicht auffangen können.
Schon jetzt fühlen sich viele Unternehmen im Umgang mit der jungen Generation Z und ihrer Anspruchshaltung an den Arbeitsmarkt überfordert, weiß der 29-jährige Paul von Preußen, Gründer des Digital-Native-Netzwerks Digital8.
Wir als junge Generation sind uns bewusst, dass wir eine "Rarität" auf dem Arbeitsmarkt sind. Da ist es doch ganz klar, dass man seine Grenzen austestet. Das würde jede andere Generation genauso machen. Volkswirtschaftlich halte ich es natürlich trotzdem für bedenklich.
Insbesondere der Wunsch nach einer Vier-Tage-Woche bei vollem Lohnausgleich sei volkswirtschaftlich betrachtet ein kritisches Thema. Die Lebens- und Arbeitseinstellung der jungen Generation ist für ihn dennoch nachvollziehbar.
Ich kann schon verstehen, dass viele junge Menschen sagen: So, wie ich das bei meinen Eltern erlebt habe, will ich das nicht.
Auf der anderen Seite kämpfen Arbeitgeber schon jetzt mit einer akuten Mangellage, und Branchen wie die Logistik sind auf jede nachrückende Fachkraft dringend angewiesen. Hinzu kommt die Herausforderung, dass die Generation Z eine vergleichsweise hohe Jobwechselbereitschaft zeigt. Während es in früheren Generationen noch als erstrebenswert galt, jahrelang im selben Job und in derselben Firma zu bleiben, scheint sich dies nun geändert zu haben.
In einer aktuellen Forsa-Umfrage, durchgeführt im Auftrag des Business-Netzwerks Xing im Januar 2024, geben 49 Prozent der Befragten – und damit fast jeder zweite Arbeitnehmer der Gen Z – an, den Job wechseln zu wollen. Damit liegt die Generation über dem Durchschnitt der Wechselbereitschaft der Beschäftigten in Deutschland (37 Prozent). Rund 28 Prozent geben an, nur noch maximal zwei Jahre beim derzeitigen Arbeitgeber bleiben zu wollen.
Das liegt vermutlich auch daran, dass sich der Arbeitsmarkt allgemein geändert hat: Dass es viel einfacher ist, den Job zu wechseln. Dass es viel einfacher ist, transparent zu sehen, wie andere Berufe funktionieren und sich damit auch manche Lebenskonzepte geändert haben.
Diese neue Vielfalt an beruflichen Möglichkeiten kann insbesondere während der Berufsfindungsphase Überforderung und Planlosigkeit auslösen. Für Unternehmen bietet sich zugleich die Chance, jenes Bedürfnis nach Flexibilität und Freiheit im Job für sich zu nutzen, ist von Preußen überzeugt. Insbesondere wenn es um Nachwuchsprogramme geht.
Ich plädiere dafür, dass Organisationen und Unternehmen sagen: Hey, wenn du bei uns arbeiten möchtest – zum Beispiel in einem Traineeprogramm oder in einer Ausbildung –, dann versuchen wir, das möglichst bunt und vielfältig zu gestalten.
Nachwuchskräfte sollten die Möglichkeit bekommen, verschiedene Dinge auszuprobieren, anstatt von vornherein eine klare berufliche Position vorgegeben zu bekommen, die nach der Ausbildung oder dem Traineeprogramm erreicht werden soll. Eine Chance, die von Preußen nicht nur großen Unternehmen vorbehalten sieht.
Vielfalt muss nicht nur im Konzern herrschen. Kleinere Organisationen haben aus meiner Sicht sogar die Nase vorn, wenn es darum geht, flexibel und schnell am Arbeitsmarkt agieren zu können und auch junge Menschen langfristig an sich zu binden.
Um den steigenden Bedarf an Nachwuchskräften decken zu können, sollten Unternehmen bereit sein, sich auf ihre Zielgruppe einzulassen. Insbesondere die sozialen Netzwerke gewinnen bei der Personalsuche daher zunehmend an Bedeutung.
Wenn ich eine Zielgruppe erreichen möchte, muss ich dahin gehen, wo die Zielgruppe ist. Die junge Generation erreicht man aktuell sicher nicht mit Papierflyern. Wir sind mit Social Media aufgewachsen, das ist also ein ganz wesentlicher Kanal, auf dem ich als Unternehmen tätig werden sollte.
Obwohl viele Logistikunternehmen mittlerweile auf Plattformen wie dem Business-Netzwerk LinkedIn aktiv sind, wird das Potenzial oft nicht ausgeschöpft, kritisiert von Preußen. Um sowohl die Reichweite als auch die Authentizität zu erhöhen, empfiehlt der Gen-Z-Speaker, Führungskräfte selbst Beiträge posten zu lassen, anstatt immerzu auf den Unternehmens-Account zu setzen.
Menschen folgen Menschen. So ist es in den sozialen Medien auch. Das vielleicht etwas schlecht getroffene, leicht verpixelte oder verwackelte Selfie vom CEO ist so viel mehr wert als ein zehnminütiges gescriptetes Hochglanzvideo.
Um Nachwuchskräfte langfristig an sich zu binden, können von Preußen zufolge viele verschiedene Faktoren eine Rolle spielen: Entwicklungsmöglichkeiten und Verantwortung, die Unternehmens- und Führungskultur sowie „Hygienefaktoren“ wie Sicherheit und Bezahlung.
Früher war der Faktor Gehalt nicht das wichtigste Merkmal für einen Beruf. Während der Corona-Pandemie hat sich das langsam gedreht. Dann kamen noch der Krieg in Europa, die Inflation und mögliche Rezession dazu. Da wurde das Thema finanzielle Sicherheit plötzlich wieder viel wichtiger.
Obwohl die Gen Z auf dem Arbeitsmarkt selbst eher sprunghaft wirkt, wünschen sich 74 Prozent der Befragten in der Forsa-Umfrage, dass ihnen ein neuer Arbeitgeber langfristig einen sicheren Job bieten soll. Zudem würden rund 60 Prozent der unter 30-Jährigen, die ihr derzeitiges Gehalt als zu niedrig empfinden, für ein Plus auf dem Konto das Unternehmen wechseln. Für Paul von Preußen spielt insbesondere mit Blick auf die Generation Z aber auch die Feedback-Kultur eine entscheidende Rolle.
Wir als junge Generation sind es durch Social Media gewöhnt, dass wir jederzeit und relativ schnell Feedback bekommen. In den meisten Unternehmen muss ich dann aber im schlimmsten Fall bis zum Jahresgespräch warten, um ein Feedback von meiner Führungskraft zu bekommen. Ich sage: Schafft die Jahresgespräche ab. Lieber 60 Mal 1 Minute Feedback als einmal 60 Minuten Feedback.
Mit Digital8 setzt er sich dafür ein, den generationsübergreifenden Austausch zu fördern. Miteinander statt übereinander reden, lautet die Devise. Ein Aspekt, der insbesondere mit Blick auf die bevorstehende Rente der Babyboomer-Generation an Bedeutung gewinnt. Unternehmen stehen vor der Herausforderung, sowohl das gesammelte Wissen als auch die im Unternehmen verankerten Werte rechtzeitig an den Nachwuchs weiterzugeben.
Zugleich bietet sich die Chance, von den technischen Fähigkeiten der jungen Digital Natives zu profitieren, ist von Preußen überzeugt. So ließe sich der Generationenkonflikt nicht nur lösen, sondern sogar in einen echten Mehrwert verwandeln, der Unternehmen dabei hilft, die digitale Transformation zu bewältigen.