„Jede Woche einen Benefit“
Im April und Mai dieses Jahres haben die Beschäftigten in Deutschland durch Ostern, den Maifeiertag und Christi Himmelfahrt gleich vier Viertagewochen. Aber drei freie Tage in jeder Woche – das ist für viele bisher nur ein Traum.
Vor ein paar Jahren war das Arbeitszeitmodell Viertagewoche noch undenkbar. „Mir fehlt ein Tag zwischen Sonntag und Montag“. So beschrieb 2014 Entertainerin, Moderatorin und Autorin Katrin Bauerfeind den damals noch utopischen Wunsch vieler Menschen nach einem längeren Wochenende auf dem Titel ihres Buches.
Doch die Zeiten haben sich geändert. Inzwischen ist das Modell „Vier Arbeitstage bei vollem Geld“ durchaus ein Traum, der sich erfüllen kann. Das Konzept wird schon seit längerer Zeit diskutiert und mittlerweile in einigen Unternehmen und Ländern in Pilotprojekten getestet oder teilweise auch schon umgesetzt. In Spanien unterstützt die Regierung neuerdings Unternehmen, die die Viertagewoche testen wollen. In Belgien haben Beschäftigte sogar einen Rechtsanspruch darauf. Und in Deutschland hat die IG Metall kürzlich angekündigt, eine Viertagewoche bei vollem Lohnausgleich in der nächsten Tarifrunde für die westdeutsche Stahlindustrie zu fordern. Dies habe „grundsätzlich Ausstrahlung über die Stahlbranche hinaus“, sagt Jörg Hofmann, der Chef der größten Gewerkschaft im Land.
Erster Logistiker mit Viertagewoche
Damit stellt sich auch die Frage: Inwieweit wäre dies ein Modell für die Transport- und Logistikbranche? Die DVZ hat bisher nur einen einzigen Logistiker in Deutschland gefunden, und zwar das Düsseldorfer Unternehmen Cargo Truck Direct, das sich selbst als ersten deutschen Logistiker mit einer Viertagewoche bezeichnet. Nach einer Testphase haben die Geschäftsführer Andreas Hohnke und Muhammet Altindas entschieden, sie ab April dauerhaft für die 20 Beschäftigten des Unternehmens einzuführen. Das Modell: gleiches Monatsgehalt, aber nur noch 40 statt 45 Wochenstunden.
Doch bis dahin war es ein langer Weg. Denn leicht sei die Umsetzung nicht, sagt Hohnke, der das Unternehmen 2011 gegründet hatte, im Gespräch mit der DVZ. Man müsse schon „einen gewissen Aufwand“ betreiben. Zugleich sei es aber auch nicht so schwierig, wie manche glauben.
Hohnke selbst war anfangs alles andere als überzeugt von der Idee seines Co-Geschäftsführers. Cargo Truck Direct ist ein Nischenanbieter, der als sogenannter Off-Airport-Logistiker den Vor- und Nachlauf für die Luftfrachtspediteure am Düsseldorfer Flughafen übernimmt. Ein überschaubarer Markt also, in dem sich die Akteure durchaus gegenseitig Mitarbeiter abwerben. Als im vergangenen Jahr das Gerücht herumging, dass ein Mitbewerber auf Personalsuche geht, brachte Altindas die Viertagewoche ins Spiel, quasi als Differenzierungsmerkmal im Kampf um die Fachkräfte.
Hohnke hielt das zunächst für eine fixe Idee. „Wir hätten konträrer gar nicht sein können“, erinnert er sich. „Aber immer, wenn einer von uns beiden mit einer Idee kommt, dann denken wir noch einmal zusammen darüber nach.“ Denn Hohnke agiert nach der Maxime: „Wer nicht agil und flexibel ist und sich nicht bewegt, der wird irgendwann einfach nicht mehr existieren.“
„Man darf diesen zusätzlichen freien Tag nicht unterschätzen. Jeder, der sagt, das bringe ihm nichts, der lügt.“ Andreas Hohnke, Geschäftsführer, Cargo Truck Direct
So sei ihm letztlich klar geworden: „Wenn wir uns beim Thema Fachkräftemangel nicht selbst helfen, dann wird uns niemand helfen“. Das Führungsduo hat daraufhin angefangen, sich intensiver mit einer Viertagewoche zu beschäftigen. Auch ein Psychologe wurde einbezogen, um die möglichen Effekte besser bewerten zu können. So geschehe es bei einer Gehaltserhöhung zum Beispiel schnell, dass die Beschäftigten sich daran gewöhnen und dies als gegeben hinnehmen. „Bei der Viertagewoche aber spüren die Mitarbeiter jede Woche aufs Neue den Benefit. Das hielt der Psychologe für sehr wichtig“, sagt Hohnke und fügt hinzu: „Man darf diesen zusätzlichen freien Tag nicht unterschätzen. Jeder, der sagt, das bringe ihm nichts, der lügt.“
Die beiden Geschäftsführer kamen letztlich zu der Einschätzung: „Erstens könnten wir damit weniger anfällig gegenüber Abwerbungen sein, weil unsere Mitarbeiter zufriedener mit ihrem Job sein dürften. Zweitens könnten wir die Zahl der Krankentage reduzieren. Und drittens dürfte es uns künftig leichter fallen, neues Personal zu gewinnen.“ So wurde schließlich aus einer fixen Idee eine echte, wenn auch komplexe Maßnahme. „Das war cool“, sagt Hohnke sichtlich stolz.
Monatelange Vorarbeit
Etwa vier bis fünf Monate hätten sie an dem Konzept gearbeitet. „Wir haben zum Beispiel wochenlang an Schichtplänen gefeilt.“ Denn in dem Geschäft, in dem der Logistiker tätig ist, müsse man quasi von Montag bis Freitag und von morgens bis abends für die Kunden verfügbar sein. Deshalb habe man sich nach der Testphase entschieden, dass die freien Tage möglichst über die gesamte Woche verteilt werden. „Dann haben wir zwar jeden Tag etwas weniger Personal, aber die Spitzen tun uns nicht so weh“, sagt Hohnke.
Der Vorteil bei der ganzen Planung sei gewesen: „Da für mich Existenzsicherheit wichtig ist, habe ich schon immer dafür gesorgt, dass wir so aufgestellt sind, dass es für jede Position auch ein Backup gibt und das Geschäft weiterlaufen kann“. Hohnke meint: Je mehr Mitarbeiter man habe, desto mehr Möglichkeiten habe man, Backups zu schaffen. Eine hohe Mitarbeiterzahl ist also gar nicht unbedingt ein Problem. Die Herausforderung bestehe bei der Viertagewoche eher darin, die notwendigen Redundanzen zu schaffen.
Ampelsystem eingeführt
„Zudem haben wir mit einem Anwalt gesprochen, um das Ganze rechtssicher zu machen“, sagt Hohnke weiter. Der Psychologe habe geraten, das Ganze messbar zu machen und den Mitarbeitern das Gefühl zu geben, dass sie sich die Viertagewoche „erarbeiten“ müssen. „Die Mitarbeiter müssen mitziehen und sich reinhängen, ansonsten funktioniert es nicht“, sagt Hohnke. Denn man müsse aufpassen, dass die Qualität nicht leidet.
Auch deswegen haben die Geschäftsführer ein Ampelsystem eingeführt. Bei einer gewissen Zahl von Problemfällen in den operativen Abläufen in einem bestimmten Zeitraum schaltet die Ampel auf Rot. In diesem Fall geht es sofort zurück in den Fünftagemodus.
In der auf zwei Monate angelegten Testphase gab es dann tatsächlich eine Eskalation bis in den roten Bereich. „Deshalb haben wir auch eine Woche früher abgebrochen. Zugleich haben wir damit deutlich gemacht: Wir werden das im Notfall jederzeit wieder rückgängig machen – und zwar für alle.“ Das ist laut Hohnke überhaupt das Wichtigste: „Wie verkaufe ich es den Mitarbeitern, dass ich im Zweifel wieder alles zurückdrehen werde?“.
„Für alle oder für keinen“
Grundsätzlich habe es während der Testphase aber keine größeren Probleme gegeben. Die Produktivität sei gut gewesen. Denn es gilt natürlich, die anfallenden Aufgaben mit demselben Personal zu schaffen. Die Produktivitätssteigerung pro Mitarbeiter wird damit zur Notwendigkeit. „Die Mitarbeiter haben sich tatsächlich jede Woche gefreut. Und wir hatten keinen einzigen Krankheitsfall“, sagt Hohnke weiter. Im März habe man das Projekt dann bewusst unterbrochen, auch um die gesammelten Erfahrungen zu analysieren und um ein paar Dinge anzupassen.
Klar sei immer gewesen: Entweder gilt die Viertagewoche für alle oder für keinen. Also auch für die Geschäftsführer? „Die wissen mit der freien Zeit zu Hause nichts anzufangen“, antwortet Hohnke und schmunzelt. „Wir nehmen uns aber zum Beispiel einen halben Tag, um strategische Dinge zu besprechen. Das kann dann also schon mal ein längeres Mittagessen sein.“
Und wie reagieren die Kunden? Die seien „positiv neugierig“. Natürlich gebe es auf der Leitungsebene auch Vorbehalte. Das sei aber letztlich völlig normal, „die hatte ich ja auch“, merkt Hohnke an und fügt hinzu: „Es braucht einfach seine Zeit“. Auch Akteure aus anderen Branchen seien bereits auf Cargo Truck Direct wegen der Viertagewoche aufmerksam geworden.
Ob sein Unternehmen damit in der Logistikbranche etwas lostreten kann, wisse Hohnke nicht. In einem ist er sich aber ganz sicher: „Die Mitarbeiter sind in der Logistik der Schlüssel zum Erfolg“.