„Dem klimafreundlichen Fliegen gehört die Zukunft“

Die Luftfahrt sieht vor allem in Sustainable Aviation Fuel (SAF) den Schlüssel zur Erreichung des Netto-Null-Ziels. Warum es sich lohnt, auch anderen Technologien gegenüber offenzubleiben, erklärt Markus Fischer, Luftfahrtvorstand des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt im DVZ-Gespräch.

Die Luftfahrt sieht vor allem in Sustainable Aviation Fuel (SAF) den Schlüssel zur Erreichung des Netto-Null-Ziels. Warum es sich lohnt, auch anderen Technologien gegenüber offenzubleiben, erklärt Markus Fischer, Luftfahrtvorstand des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt im Gespräch mit der DVZ. (Foto: DLR)

DVZ: Beim Thema klimafreundliche Luftfahrt macht das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) Druck. Im März hat Ihr Haus das Institut für Elektrifizierte Luftfahrtantriebe in Cottbus eröffnet. Welche Arbeitsschwerpunkte wird dieses in den kommenden fünf Jahren haben?

Markus Fischer: Während der vergangenen Jahre hat sich das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt mit allen zukunftsfähigen Antriebstechnologien beschäftigt und große Chancen für hybridelektrische Systeme auf Basis von Batterien oder Brennstoffzellen ermittelt. Das neue Institut in Cottbus untersucht, welchen besonderen Belastungen Flugzeuge mit elektrifizierten Antrieben ausgesetzt sind. Wie verhalten sich Letztere beispielsweise, sollte ein Blitz einschlagen? Oder wenn das Flugzeug in sehr großen Höhen unterwegs ist?

Was im Umkehrschluss heißt, dass das DLR sich viel von elektrischen beziehungsweise hybridelektrischen Antrieben verspricht. Was ist der Stand der Forschung heute?

Reine Batterieantriebe sind weiterhin eine attraktive Alternative für kleine Flugzeuge, die auf kurzen Strecken unterwegs sind. Für die Luftfracht weit attraktiver sind weiterentwickelte Turbofans im Zusammenspiel mit nachhaltigen Brennstoffen (SAF), welche sich durch höhere Effizienz und Klimafreundlichkeit auszeichnen. Die Hersteller verfolgen unterschiedliche Ansätze.

Die einen arbeiten an noch saubereren Verbrennungen, welche beispielsweise durch höhere Temperaturen und Drücke oder – denken wir an das WET Engine-Konzept des Triebwerkherstellers MTU – Wassereinspritzungen erzeugt werden. Die anderen setzen auf Hybridlösungen, welche mit elektrischen Komponenten im Zusammenspiel mit dem Turbofan arbeiten. Wenn solche Antriebe mit alternativen Energieträgern wie nachhaltig erzeugtem SAF gespeist werden, haben wir Flugzeuge bereits deutlich klimafreundlicher gemacht.

Welche Rolle kann Wasserstoff als Energieträger spielen?

Wir können Wasserstoff in Turbofans direkt verbrennen oder für Brennstoffzellen nutzen, welche Teil eines hybridelektrischen Antriebsstranges sind. An solchen Verfahren forschen wir gegenwärtig mit Partnern aus Industrie, Mittelstand und Wissenschaft im fortgeschrittenen Stadium. Gemeinsam mit MTU Aero Engines rüsten wir einen Antriebsstrang einer DO228 auf Brennstoffzellenbetrieb um für anschließende Flugtests. Wir streben für diese Technik eine möglichst schnelle Umsetzbarkeit für ein industrielles Produkt an, um noch in diesem Jahrzehnt diese Antriebstechnologie im Markt zu sehen.

Welche Variante wird die Nase vorn haben?

Wir sind technikoffen und suchen nach den aussichtsreichsten Konzepten, wobei wir zunächst umfangreiche Erkenntnisse und Erfahrungen sammeln. Die Arbeiten sind weit fortgeschritten; ich denke, dass in den kommenden drei bis vier Jahren erste Richtungsentscheidungen fallen werden.

Innovationstreiber

Auf dem Weg zur emissionsfreien Luftfahrt will das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) alle Register ziehen. Die Luftfahrt der Zukunft müsse durch hocheffiziente Flugzeugkonfigurationen und einen intelligenten Mix alternativer Antriebskonzepte überzeugen, schreibt das DLR in einem Strategiepapier. Der Energiebedarf der Flugzeuge soll bis 2050 um mindestens 50 Prozent gesenkt werden, die Virtualisierung von Entwicklung und Zulassung könne die Innovationsgeschwindigkeit um den Faktor Zwei beschleunigen und neue Technologien schneller verfügbar machen. Und natürlich kann die Luftfahrt von morgen auch sparen, zum Beispiel mit klimaoptimierten Routen oder niedrigerem Kerosinverbrauch. „Die Luftfahrt erlebt gegenwärtig einen ihrer intensivsten Transformationsprozesse in ihrer Geschichte“, bereitet Prof. Anke Kayser-Pyzalla, Vorstandsvorsitzende des DLR, den Verkehrsträger auf gravierende Veränderungen in den nächsten Jahren und Jahrzehnten vor. Wenn weiteres Wachstum keine zusätzlichen Umweltbelastungen erzeugen soll, müssten viele Innnovationen erforscht und entwickelt werden. Das DLR sieht sich hier mit 25 Instituten in einer Schlüsselposition für den gesamten Verkehrsträger.

Vorerst kann klimafreundliches Fliegen offenbar nur mit SAF sichergestellt werden. Vor kurzem hat das DLR das Offsetting-Programm Corsia der ICAO als „nicht ehrgeizig genug“ kritisiert – wo genau gibt es noch Potenzial?

Die Entwicklung neuer Technologien kostet immer viel Geld und Zeit. Wenn jetzt die ICAO mit Corsia für jede ausgestoßene Tonne CO2 eine Kompensation von den Fluggesellschaften fordert und dieses Geld zur Unterstützung von nachhaltigen Projekten verwendet wird, muss deren Nutzen einwandfrei nachzuweisen sein. Wo das nicht der Fall ist, müssen wir uns fragen, ob mit diesem Geld nicht besser direkt klimafreundliche Technologien gefördert werden könnten.

Könnte dann auch die Produktion von SAF schneller hochgefahren werden?

Gegenwärtig deckt der globale Luftverkehr erst 1 bis 2 Prozent seines Kerosinbedarfs mit SAF ab, und zwar durch SAF auf Basis von verwendeter Biomasse, sogenannte Bio Fuels. Das ist natürlich viel zu wenig. Wir müssen alle Potenziale für einen Hochlauf nutzen und darauf achten, dass alternative Kraftstoffe auch tatsächlich nachhaltig hergestellt werden, durch höchsteffiziente Herstellungsverfahren und die Verwendung grüner Energien.

Über Mais und andere Nutzpflanzen hinaus können verschiedenste Arten von Biomasse eingesetzt werden, die Entwicklung geht hier ziemlich schnell voran. Wir streben jedoch als zukunftsträchtiges, langfristiges Ziel die synthetische Herstellung von SAF an, sogenannte E-Fuels, und zwar durch den Einsatz von grünem Wasserstoff und der Verwendung von Kohlendioxid (CO2) aus der Atmosphäre. Dann könnte SAF entsprechend dem europäischen Green Deal und dem Maßnahmenpaket „Fit for 55“ bis Ende dieses Jahrzehnts 5 bis 10 Prozent des Bedarfs abdecken. Wir halten diese Vorgaben für absolut realistisch.

Für die Herstellung von E-Fuels wird ebenfalls Wasserstoff benötigt. Mancher Marktteilnehmer will vollständig auf diesen Energieträger umsteigen. Airbus plant Wasserstoffflugzeuge ab 2035. Wie realistisch ist das?

Vieles hängt von den weiteren Entwicklungsarbeiten ab. Wasserstoff-Brennstoffzellen gelten zum gegenwärtigen Zeitpunkt als realistische Option für Flugzeuge im Zubringer- oder Regionalflugsegment. Turbofans, die Wasserstoff direkt verbrennen, kommen auch für deutlich größere Flugzeuge infrage. Aufgrund der geringeren volumetrischen Dichte von Wasserstoff gegenüber Kerosin werden die Tanks deutlich größer.

Und obwohl Wasserstoff eine dreimal höhere gewichtsmäßige Energiedichte als Kerosin aufweist, verlangt die sichere Lagerung von Wasserstoff besondere Tankstrukturen und Systemarchitekturen, die Gewicht kosten, womit der Vorteil sehr schnell schrumpfen kann. Auf diese Herausforderung muss die Forschung in den kommenden Jahren überzeugende Antworten finden.

Wird das reine Wasserstoffflugzeug doch eine Fiktion bleiben?

Wir arbeiten an allen wichtigen Technologien, damit aus der Fiktion eine Realität wird. Das Airbus-Projekt, für das wir an einzelnen Komponenten forschen, ist hierbei ein wichtiger Gradmesser. Mitte bis Ende der 30er Jahre sollten Wasserstoffflugzeuge entwickelt sein.

Markus Fischer

Seit 2021 ist Markus Fischer DLR-Vorstand für Luftfahrt. Der promovierte Ingenieur hat nach seinem Studium der Luft- und Raumfahrttechnik an der TU Braunschweig die ersten Berufsjahre bei DLR verbracht, bevor er 1996 in die Industrie wechselte. 2017 kehrte er nach beruflichen Stationen bei STN Atlas, Rheinmetall und Airbus zum DLR zurück und übernahm die Leitung der Programmdirektion Luftfahrt.

Kann auch der Energieverbrauch von Flugzeugen spürbar reduziert werden?

Ja. Wer wirklich besser werden will, muss zuerst an sich selbst sparen. Wir haben diesen Grundsatz ernst genommen und wollen den Eigenenergieverbrauch von Flugzeugen bis 2050 um bis zu 50 Prozent senken. Möglich ist dies mit einer weiteren Verringerung des aerodynamischen Widerstands durch optimierte Oberflächengestaltung und Strukturauslegung. Außerdem prüfen wir, wie Flugzeuge mit innovativen Materialien und Bauprinzipien leichter und einfacher gebaut werden können und wie wir mit moderner Systemarchitektur Energie bei den Flugzeugsystemen und der Kabine einsparen können. Wir arbeiten also nicht nur an Triebwerken.

Gibt es weitere unterschätzte technologische Optionen?

Ja. Gerade die Luftfahrt im Allgemeinen und die Luftfracht im Besonderen kann viel für das Klima tun, wenn sie auch die Nicht-CO2-Effekte berücksichtigt. Hierunter fallen die sonstigen Treibhausgase und Schadstoffe, die Flugzeuge ausstoßen und deren Folgen auf die Wolkenbildung. Sie machen immerhin zwei Drittel des klimaschädlichen Effekts der Fliegerei aus und sind vor allem als Kondensstreifen am Himmel sichtbar. Speziell in kalten und wasserübersättigten Bereichen der Atmosphäre wirken ausgestoßene Partikel, wie Ruß, als Kondensationskerne für die anschließende Bildung von Zirren, welche vor allem nachts das Klima erwärmen können. Solch klimasensitiven Regionen können heutzutage recht zuverlässig prognostiziert werden, so dass diese möglichst umflogen werden sollten, sofern die Flugverkehrssituation dies zulässt.

Das bedeutet längere Flugrouten, was gerade die Luftfracht treffen würde.

Nicht unbedingt, die Umwege müssen nicht groß sein. Und der höhere Treibstoffverbrauch rechnet sich angesichts eines ermittelten Effizienzfaktors von fast 10 eigentlich immer. Klimafreundlichem Fliegen gehört also die Zukunft. (ol)

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