Warum die Luftfracht beim Klimaschutz neue Wege gehen muss

Obwohl es sich längst herumgesprochen hat, dass weder Offsetting noch SAF die Branche klimaneutral machen werden, klammert sich die Luftfracht an diese Lösungen. Das ist fatal, denn es verhindert die Diskussion über Alternativen. Eine Analyse von Joachim G. Schäfer.

Der Airbus-Großraumfrachter Beluga XL wird 2021 am britischen Werksflughafen Broughton für einen Testflug mit mit SAF betankt. Der Beimischungsanteil beträgt 35 Prozent. (Foto: Jane Widdowson)

Das Jahr 2023, das sich demnächst dem Ende zuneigt, wird aller Voraussicht nach als das vorläufig wärmste aller Zeiten in die Geschichte eingehen. Mit ganz wenigen abweichenden Meinungen sind sich die Wissenschaftler einig, dass die Temperaturrekorde des zurückliegenden Jahrzehnts ohne menschlichen Einfluss kaum eingetreten wären. Zudem mehren sich die Stimmen, denen zufolge das angestrebte 1,5-Grad-Ziel des Pariser Abkommens von 2015 kaum noch erreichbar ist.

Der vergangene Juli war nicht nur der heißeste Monat, der je aufgezeichnet wurde, sondern sogar der wärmste Monat der zurückliegenden 120.000 Jahre. Diesen Schluss lassen Sedimentanalysen zu. Die Abkehr von fossilen Treibstoffen ist nach Ansicht der meisten Experten ohne Alternativen. Einmal emittiertes CO₂ verbleibt Hunderte von Jahren in der Atmosphäre; nach Ansicht der NASA möglicherweise bis zu 1.000 Jahre.

Wir können die Situation daher kaum verbessern, wohl aber Schlimmeres verhindern. Sollten im gleichen Tempo wie bisher fossile Treibstoffe verbrannt werden, so rechnet der zwischenstaatliche Ausschuss für Klimaänderungen (IPCC) mit Temperatursteigerungen von 4 bis 5 Grad Celsius bis Ende des laufenden Jahrhunderts. Träte dies ein, hätte dies für die Lebensbedingungen auf der Erde Konsequenzen, deren Ausmaße nur erahnt werden können.

Ein Irrweg namens Offsetting

Die Europäische Kommission schätzt, dass die Luftfahrt in der EU circa 4 Prozent der Kohlendioxidemissionen beiträgt. In der öffentlichen Diskussion ist die Luftfracht, im Gegensatz zur Passagierluftfahrt, bislang noch recht gut weggekommen.

Zwar wird wohl nur weniger als 1 Prozent der weltweiten Gütermengen in der Luft transportiert, gleichwohl ist der Beitrag der Luftfracht zu erheblich, um ignoriert zu werden. Einer Studie der Universität Heriot-Watt aus dem Jahr 2018 zufolge betragen die Emissionen mit circa 600 Gramm CO₂ pro Tonnenkilometer das 75-Fache eines Containertransports per Seeschiff und das 27-Fache eines Transports per Bahn.

Auf dem Weg zur klimaneutralen Luftfahrt stehen vor allem zwei Ansätze im Vordergrund: Kompensationsprojekte und der Einsatz alternativer Treibstoffe. Beide Stoßrichtungen sind umstritten.

Airlines, die anbieten, den CO₂-Ausstoß durch Investitionen in Klimaschutzprojekte auszugleichen, wird Greenwashing vorgeworfen – zum einen, weil die berechneten CO₂-Emissionen und damit die Kompensationsleistungen viel zu niedrig ausfallen, und zum anderen, weil viele Klimaprojekte, etwa bei der Aufforstung von Regenwald in Afrika, oftmals unseriös sind. So konnten Anbietern, die CO₂-Zertifikate verkaufen, in der Vergangenheit vielfach Luftbuchungen nachgewiesen werden.

Die britische Zeitung „The Guardian“ hat vor zwei Jahren die Kompensationsprogramme des US-amerikanischen Zertifizierers Verra unter die Lupe genommen, des führenden Anbieters von sogenannten freiwilligen CO₂-Kompensationen, die zum damaligen Zeitpunkt einen Markt im Wert von weltweit 2 Milliarden US-Dollar bildeten.

75 Prozent dieser Zertifikate, mit denen Unternehmen klimaschädliche Aktivitäten ausgleichen, werden von Verra beaufsichtigt und kontrolliert. Laut „The Guardian“ erwiesen sich 90 Prozent der Regenwald-Offsetting-Zertifikate als Fälschung, so dass keine Emissionsreduktionen erzielt werden konnten.

SAF nur in homöopathischen Mengen

Eine Studie aus dem März 2023 bestätigt das negative Bild. Wissenschaftler der renommierten University of California, Berkeley, haben sich 300 Projekte angesehen, die für rund 11 Prozent der bisher eingekauften Kompensationsleistungen stehen.

In allen Projekten konnten fehlerhafte Gutschriften nachgewiesen werden. Die Strategie, sich mittels Billigzertifikaten freizukaufen, erinnert an den Versuch der Automobilindustrie, das Erreichen von Umweltzielen durch Softwareoptimierungen vorzugaukeln.

Angesichts dieser Entwicklung geraten die Sustainable Aviation Fuels (SAF), die aus nicht fossilen Rohstoffen hergestellt werden, immer mehr in den Fokus. Derzeit machen sie noch nicht mehr als 0,1 Prozent der Kerosins aus, da sie bislang mindestens das Doppelte fossilen Treibstoffs kosten.

Doch die Lösung aller Klimaprobleme sind auch sie nicht. Denn um wirklich emissionsneutral zu sein, muss bei dem Transport der Rohstoffe, deren Verarbeitung und dem Weitertransport auf fossile Treibstoffe verzichtet werden.

Auch ist zu bedenken, dass mit ihrer Produktion das Risiko gegeben sein könnte, Anbaugebiete für die Ernährung von Menschen aus Entwicklungsländern zu verlieren. Dies wird zwar oftmals von den SAF-Herstellern ausgeschlossen, doch es ist schwer zu kontrollieren, ob diese Vorgaben tatsächlich stets eingehalten werden können.

Königsweg SAF?

Dennoch ist SAF tatsächlich die auf Sicht einzig verbleibende Alternative – was veranschaulicht, in welch prekärer Lage die Luftfahrt in Sachen Klimaneutralität ist. Auch die IATA erwartet, dass Net-Zero bis 2050 zu zwei Dritteln durch SAF erreicht werde, hofft aber auch auf Innovationen.

Wo diese herkommen sollen, bleibt indes im Dunklen. In der Luftfahrt zeichnen sich keine Innovationssprünge ab. Für komplett neu entwickelte Flugzeuge fehlt Airbus und Boeing das Kapital.

Bislang vergehen zum Teil Jahrzehnte, bis Airlines ihre ineffizienten Flugzeuge ausmustern. Fedex plant beispielsweise, seine letzten MD-11 erst 2028 außer Dienst zu stellen. Zur Erinnerung: Die MD-11 ist eine Weiterentwicklung der DC-10, ein Flugzeugtyp, der vor mehr als 60 Jahren entwickelt wurde. Ähnliches gilt für die B-747, von der, Stand Januar, auch noch mehr als 300 Maschinen betrieben werden.

Es sind auch kaum noch Fortschritte in den Konstruktionen von Turbinen zu verzeichnen. In den vergangenen zwei Jahrzehnten ist der Verbrauch pro Tonnenkilometer in der Luftfahrt um gerade einmal 2 Prozent gesunken. Wasserstoff ist das Feld der Hoffnung vieler Marktteilnehmer, doch weniger von mit der Materie vertrauten Fachleuten.

Wasserstoff hat im Vergleich mit SAF ein Vielfaches des Volumens. Um ihn zu transportieren, würden wesentlich größere, druckfeste Tanks benötigt. Noch radikalere Ideen, wie der Einsatz von Luftschiffen, haben sich als Sackgasse erwiesen. Der Hangar des Cargolifters wurde einer neuen Nutzung zugeführt, weil sich der Nachfolger des Zeppelins bei Seitenwinden als zu wenig genau steuerbar erwiesen hatte.

Der Markt allein wird es nicht richten

Damit alternative Kraftstoffe attraktiver werden können, müssten die Kosten für Kerosin deutlich steigen. Die Gründer der internationalen Luftverkehrsorganisation ICAO hatten sich 1944 auf eine Steuerbefreiung auf Kerosin bei internationalen Flügen geeinigt. Viele Gründe hierfür, die damals nachvollziehbar gewesen sein mögen, sind längst obsolet. Die Regelung ist hingegen erstaunlich widerstandsfähig.

Die Europäische Kommission scheint Versuche, die Luftfrachtbranche zu besteuern, bereits aufgegeben zu haben. Aus volkswirtschaftlicher Sicht liegt ein klassischer Fall von Marktversagen vor, wenn den fossilen Treibstoffen die erheblichen externen Kosten des Klimawandels nicht zugerechnet werden können.

Fluggesellschaften wechseln aus nachvollziehbaren wirtschaftlichen Gründen viel zu langsam zu SAF. Mit dem Prinzip der Freiwilligkeit lässt sich Net Zero somit erkennbar nicht erreichen.

Bliebe das Prinzip des Zwangs. Denkbar ist es, bei Flügen innerhalb beziehungsweise von und zu dem Gebiet der Europäischen Union den kompletten Verzicht auf fossile Treibstoffe bis 2035 verpflichtend zu machen.

Technisch machbar wäre dies. Boeing will bis zum Ende dieses Jahrzehnts Flugzeuge auf den Markt bringen, die mit reinem Bio-Fuel fliegen. Die Kehrseite dieses Ansatzes ist klar: Fliegen würde deutlich teurer. Die seit den 90er Jahren mit der Deregulierung der Luftfahrt erzielten Kostensenkungen würden wohl zunichte gemacht.

Luftfracht würde teurer werden

Wie würden sich Kostensteigerungen auf die Luftfracht auswirken? Dabei muss berücksichtigt werden, aus welchen drei Gründen der Luftfrachttransport gewählt wird:

  • zur Erschließung von Märkten, die es sonst nicht gäbe, wie etwa Schnittblumen aus Kenia

  • in Notfällen, etwa wenn ein Ersatzteil oder Pharmaprodukt dringend benötigt wird

  • wenn die Einsparungen beim gebundenen Kapital die höheren Transportkosten bei einem zeitaufwendigeren Transport per Bahn oder Schiff überkompensieren.

Dieser dritte Punkt ist derjenige, der wohl am ehesten sensibel auf Kostensteigerungen reagieren würde. Eine Sendung mit einem Warenwert von 120 Dollar/Kilogramm, die per Luft 30 Tage schneller als auf dem Schiff transportiert wird, profitiert bei einem gewichteten Kapitalkostensatz (WACC) von 10 Prozent an dem geringeren gebundenen Kapital in einem Umfang von circa 1 Dollar.

Steigen Luftfrachtkosten um 2 bis 3 Dollar pro Kilogramm auf den Rennstrecken ex Asien, so ist zu erwarten, dass weniger Produkte wie Textilien, Elektronik und Maschinenteile in der Luft transportiert werden: Ein Smartphone würde voraussichtlich auch zu höheren Kosten geflogen werden, der Tintenstrahldrucker eher nicht. Die Unternehmen wären in der Lage zu reagieren, etwa durch die Verlagerung auf die Schiene oder kürzere Beschaffungswege.

Innovation durch Regulierung

Ein kosteninduzierter Nachfrageeffekt ist auch nötig, wenn die vollständige Umstellung auf SAF gelingen soll. Die Prognosen der Weltbank erlauben den Schluss, dass bei einem aggressiven Ausbau der Anbaufläche und Produktionskapazitäten genügend alternativer Treibstoff vorhanden sein wird – dies aber nur, wenn die Nachfrage entgegen der Erwartungen nicht weiter steigt.

Der erzwungene Wechsel zu SAF wäre auch ein Innovationsmotor – im Flugzeugbau wie auch in dem Design der Lieferketten. So hat etwa Apple gerade bekanntgegeben, 50 Prozent seiner Apple-Smartwatches nicht mehr per Luftfracht zu transportieren. Die Bereitschaft, Lasten zugunsten des Klimaschutzes zu stemmen, ist in vielen Unternehmen vorhanden, solange der Wettbewerb nicht verzerrt wird.

Ein Verbot fossilen Kerosins würde solche vergleichbaren Voraussetzungen für Fluglinien, Flugzeugbauer wie auch Verlader schaffen. Nun ist es an der Politik, den Weg zur Klimaneutralität in der Luftfahrt zu forcieren. (ol)

 

Joachim G. Schäfer ist Professor für internationales Transportmanagement in Lörrach
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