Einzelwagen brauchen Korridore
Wirtschaftlichkeit ist das Problem des Wagenladungsverkehrs. Mit einer Konzentration auf Korridore und einer veränderten Vermarktungsstrategie ließen sich Verbesserungen erreichen.
Prof. Paul Wittenbrink Für die meisten Eisenbahnen ist der Einzelwagenverkehr kein lohnendes Geschäft. Ein Ansatz, die Situation zu ändern, wäre, die heutige hohe Fertigungstiefe zu reduzieren. Anstatt die Kapazitäten eher an der Grundlast auszurichten und mehr Leistungen einzukaufen, wird an einer hohen Fertigungstiefe festgehalten, das heißt, fast alles selbst produziert. Die Produktion ist dadurch sehr komplex; das Wirtschaftsergebnis steht und fällt mit der Konjunktur.
Betrieb und Vertrieb: zwei Welten
Darüber hinaus treffen bei vielen ehemaligen Staatsbahnen nicht selten zwei Welten aufeinander - eine kommerzielle und eine produktionsorientierte. Auf der einen Seite existiert hier ein service- und kommerziell orientierter Vertrieb, dem ein produktionsorientierter Betrieb gegenübersteht. Zwei Welten, die sich oftmals nicht verstehen. Auf beiden Seiten sollte kommerziell gedacht werden, indem - als Profitcenter organisiert - auf der einen Seite Netzwerkbetreiber komplette Züge und Netze anbieten (Großhandel), während auf der anderen Seite die eigenen Business-Units oder auch Bahnspeditionen oder Operateure des Wagenladungsverkehrs diese Züge füllen.
Verbreitet ist zudem die Fokussierung auf Marktbereiche. Die Bahnen begründen dies mit der Notwendigkeit, Logistikkonzepte anbieten zu können. Dabei stellt sich aber nicht nur die Frage, ob Bahnen über das Know-how verfügen, um die Logistikkette des Kunden zu steuern. Es ist auch nicht ersichtlich, dass die Bahnen ein detailliertes Branchen-Know-how besitzen müssen, um ihre Bahnleistungen in die Wertschöpfungskette der Kunden einbringen zu können.
Branchen-Know-how verbessert zudem nicht die Wirtschaftlichkeit, wenn wegen der Fokussierung auf eine Branche nicht ausreichend Volumen zusammenkommt. Der Einzelwagenladungsverkehr ist nur wettbewerbsfähig, wenn die Züge gut ausgelastet sind. Der einzelne Zug oder auch der Korridor steht aber heute zu wenig im Fokus. Und die Kunden-Service-Center, die oft die operative Abwicklung übernehmen, haben kaum Einfluss, die Auslastung der Züge durch Vertriebsaktivitäten zu steigern.
Sinnvoll wäre daher eine stärkere Konzentration auf Korridore. Produktverantwortliche müssen dafür sorgen, die Züge zu füllen. Dazu gehört, dass sie das Aufkommen verschiedener Branchen oder Bahnspeditionen zusammenführen. Vorbild können Speditionsnetze sein. Die Verantwortlichen am Abgangsort würden täglich alles daran setzen, durch Vertriebsaktivitäten und Qualitätssicherung, abgehende Züge zu füllen, während die Kollegen am Empfangsort die gleichen Bemühungen an den Tag legen, um den Zug in umgekehrter Richtung gut auszulasten.
Neue Rolle für Bahnspedition
Auch auf Bahnspeditionen käme damit eine neue Rolle zu, indem sie nicht nur für einzelne Wagen sondern für komplette Züge oder Teilkapazitäten die (Auslastungs-)Verantwortung übernehmen und ähnlich wie im KV die eingekauften Kapazitäten vermarkten. Dabei könnten sich ganz neue Formen der Zusammenarbeit zwischen Bahnen, Bahnspeditionen und Kunden ergeben. Voraussetzung ist ein einfacher und diskriminierungsfreier Zugang zu Rangieranlagen und zur Nahbereichsbedienung. Sind diese Bedingungen erfüllt, besteht die Chance, dass solche neuen Modelle dem Einzelwagenladungsverkehr neue Perspektiven geben.
Duale Hochschule, Baden-Württemberg heinrici@dvz.de
Prof. Paul Wittenbrink, Jahrgang 1964, lehrt seit September 2006 an der Dualen Hochschule Baden-Württemberg in Lörrach Betriebswirtschaftslehre mit Schwerpunkt Spedition, Transport und Logistik. Gleichzeitig ist er ein Gesellschafter der hwh Gesellschaft für Transport- und Unternehmensberatung mbH in Karlsruhe (www.hwh-transport.de). Bis 2006 war er in der Geschäftsleitung der SBB Cargo.