Endstation für Seidenstraße

Die Verlängerung der russischen Breitspur nach Österreich ist aufgrund des Krieges in der Ukraine entgültig auf Eis gelegt worden. Was bedeutet das für Warenströme aus China?

Im März und April ist nach ­Angaben der ÖBB jeden zweiten Tag ein Zug mit Agrarprodukten aus der Ukraine nach Österreich ­gefahren. Seit Mai gibt es eine tägliche Verbindung. (Foto: ÖBB)

Die österreichische Logistik bekommt den Krieg in der Ukraine vor allem durch die steigenden Preise zu spüren. Der Fachverband der Lebensmittelindustrie in der Österreichischen Wirtschaftskammer spricht bereits von einer „historischen Kostenwelle“. Viele österreichische Unternehmen sind auf diese Weise indirekt vom Ukraine-Krieg betroffen, etwa der Faserhersteller Lenzing, die Post oder der Reifenhersteller Continental. Die chemische Industrie sieht sich sogar vor einer Rezession.

Beim Pharmakonzern Boehringer trübt die Krise den Ausblick: „Deutliche Auswirkungen“ werden auf dessen Regional Center Vienna (RCV) erwartet, zu dem neben Österreich auch die Ukraine und Russland gehören. „Beeinträchtigungen in bislang unbekanntem Ausmaß“ erwartet Alexander Friesz, der Präsident des Zentralverbands Spedition und Logistik. Er fordert eine Senkung der Abgaben auf Energie und unterstützt die Verschiebung der für Juli geplanten CO2-Bepreisung.

Den Ausfall ukrainischer Fahrer bekommt Österreich nach Aussage des Transportgewerbes nicht zu spüren. Es sei Lenkpersonal aus den angrenzenden EU-Ländern tätig, ukrainische Fahrer seien eher in Polen und der Slowakei unterwegs gewesen. Was die Preise angehe, schaue man neidisch nach Deutschland, wo die Mineralölsteuer um rund 14 Cent gesenkt wurde. Italien biete eine teilweise Rückvergütung dieser Steuer. Österreich sei somit beim Dieselpreis ins Spitzenfeld gerückt.

Ähnlich dem Modell eines Agrardiesels in der Landwirtschaft fordern österreichische Spediteure und Transporteure die Einführung eines billigeren Gewerbediesels, um nicht von der Konkurrenz rund um Österreich abgehängt zu werden. Das Potenzial dafür sei vorhanden, denn die Mehreinnahmen aus der Mehrwertsteuer aufgrund des Preisanstiegs würden in Österreich in diesem Jahr bei 900 Millionen Euro liegen, lauten die Argumente der Befürworter.

Was passiert mit der Seidenstraße?

Ruhig ist es derzeit um die Seidenstraße auf der Schiene geworden. Dieses Thema könne man nun abhaken, heißt es seitens des heimischen Transportgewerbes. Der Landweg wäre wohl auf lange Zeit unterbrochen. Eine Anfrage der DVZ zur aktuellen Situation bei UTLC ERA, einem eurasischen Schienengüterverkehrsunternehmen, das der russischen, der belarussischen und der kasachischen Staatsbahn gehört, blieb unbeantwortet.

Die Österreichischen Bundesbahnen (ÖBB) melden: „Aktuell werden alle beauftragten Mengen zwischen Europa und China von uns – selbstverständlich unter Berücksichtigung sämtlicher Sanktionen – über Belarus befördert. Der ursprünglich von uns präferierte Korridor über die Ukraine nach Zahony/Budapest ist derzeit eingestellt, da die Zugverbindung zwischen der Ukraine und Russland zerstört wurde.“

Chinesische Warenströme würden über Belarus und Polen umgeleitet. „Von dort geht es über unsere Hubs nach Budapest beziehungsweise Wien und weiter in unser europäisches Netzwerk. Auch eine Umleitung über den Middle Corridor, also Aserbaidschan/Georgien/Türkei beziehungsweise von Georgien direkt nach Rumänien, ist ausgearbeitet und steht als Alternative zur Verfügung“, sagt ein Sprecher der ÖBB. Die Rail Cargo Group der ÖBB wickle aktuell aber alle übernommenen Aufträge ab, es bestünden weder Einschränkungen noch Engpässe.

27,7

Prozent der Breitspur-Planungsgesellschaft gehörten der ÖBB. Diesen Anteil hat die Bahn nun verkauft.

Quelle: ÖBB

In den vergangenen Jahren war immer wieder eine Verlängerung der russischen Breitspur aus der Slowakei nach Österreich diskutiert worden. Ein großer Hub östlich von Wien sollte als mitteleuropäisches Logistikkreuz zwischen der Schiene mit unterschiedlichen Spurweiten und der Straße dienen. In Österreich war sogar eine eigene Breitspur-Planungsgesellschaft ins Leben gerufen worden. Im Hinblick auf den Krieg haben die ÖBB allerdings im April ihre 27,7 Prozent Anteile verkauft und ihr damit vermutlich den Todesstoß versetzt. Sollten nämlich die drei anderen Gesellschafter – die ukrainische und die slowakische Bahn sowie die russische Post – niemanden finden, der die Anteile übernimmt, müsste sie sich auflösen.

Dennoch ist der Schienenverkehr in die Länder mit Breitspur nicht abgerissen. Die ÖBB melden mehr als 60.000 Tonnen Getreide, die sie seit Kriegsbeginn aus der Ukraine befördert hätten. Zwischen März und April sei jeden zweiten Tag ein Zug unterwegs gewesen. Seit Mai kommt bereits täglich ein Zug mit Agrarprodukten aus der Ukraine. Und auch die Seidenstraße selbst halten die ÖBB nicht für beendet, denn: „Wir sehen auch für die Zukunft ein weites Betätigungsfeld. Nicht nur, weil Prognosen für die Zukunft von einem erhöhten Gütervolumen ausgehen, sondern auch, weil die Seidenstraße immerhin ganze Volkswirtschaften – Europa und Asien – miteinander verbindet.“ (wes)

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