Ostseehandel: Der Ost-West-Verkehr steht unter Druck

Die Ostsee galt lange als „Meer des Friedens“. Doch mit dem Ukraine-Krieg, den Sanktionen und Sabotageakten macht sich Unsicherheit breit – und das schlägt sich in den Transportvolumina nieder.

Der Skandinavienkai in Lübeck-Travemünde ist mit 800.000 Quadratmetern einer der größten RoRo- und Fährhäfen Europas. (Foto: Picture Alliance/ZB/euroluftbild.de)

Sibirische Lärche aus Sankt Petersburg landet in Kiel nicht mehr an. 2021 hatte das Schnittholz noch 1 Prozent des Umschlags ausgemacht. Auch als Kreuzfahrtdestination fällt der russische Ostseehafen seit dem Überfall auf die Ukraine aus.

„In Kiel hat vor allem das Passagiergeschäft im Kreuzfahrtbereich einen wichtigen Stellenwert“, sagt Hafensprecherin Julia Reichel. Jedoch könnten sowohl der Wegfall des Touristenmagnets Sankt Petersburg als auch ein Mengenrückgang auf den Baltikum-Routen durch eine stabile Entwicklung auf Fähren gen Oslo und Göteborg aufgefangen werden.

Ausfuhren nach Russland um 43 Prozent gefallen

Die wichtigsten deutschen Ostseehäfen Rostock, Lübeck, Puttgarden und Kiel sind vom Fähr- und RoRo-Verkehr geprägt. Die stärksten Güterströme gibt es zwischen Deutschland, Dänemark und Schweden sowie zwischen Schweden und Finnland. Container aus Übersee landen dagegen primär in der mittleren und östlichen Ostsee in Häfen wie Danzig, Helsinki und Sankt Petersburg. Vor allem Sankt Petersburg legte hier zuletzt eine Achterbahnfahrt hin. Während es vor Kriegsbeginn im Februar 2022 der wichtigste Hafen im Handel mit Europa war, brach das Volumen Ende 2022 nach Zahlen des Kieler Instituts für Weltwirtschaft (IfW) auf rund ein Zehntel ein. Die Ausfuhren der EU nach Russland waren 2022 nach den Sanktionen um 43 Prozent gefallen.

Doch 2023 scheint es für die Häfen zu einer Kehrtwende gekommen zu sein. Die Warenmenge in den russischen Häfen liegt laut IfW inzwischen wieder fast auf Vorkriegsniveau. Das IfW spricht für Sankt Petersburg von einem sprunghaften Anstieg im August 2023: „Woher die Güter stammen, ist anhand der Containerschiffsbewegungen nicht zweifelsfrei zu bestimmen, jedoch scheint Russland wieder mehr und mehr am Welthandel teilzuhaben“, sagt IfW-Analyst Vincent Stamer.Dennoch geht das Institute of Northern-European Economic Research (INER) in Hamburg davon aus, dass die russische Wirtschaft 2023 weiter schrumpfen wird. Die stark unterschiedlichen Schätzungen für das Bruttoinlandsprodukt – OECD: minus 2,5 Prozent, Weltbank: minus 0,2 Prozent – seien „ein Zeichen der großen Unsicherheit“, sagt Michael Stuwe, Professor am INER.

Sicher sind sich Stuwe und sein Kollege Prof. Jürgen Sorgenfrei dagegen, was die Warenströme angeht. Die hätten sich deutlich verändert. Der Hafen der lettischen Hauptstadt Riga etwa war bis Februar 2022 wichtiger Umschlagpunkt für russische Energieträger, die von dort weiterverschifft wurden. Nun hat Riga große freie Kapazitäten. Auch Tourismus und Logistik seien im Ostseeraum derzeit Einschränkungen unterworfen.

Ein Finnlines-Schiff verlässt Travemünde. Der Passagierverkehr läuft besser als die Fracht. (Foto: Frank Behrens)

Dazu beigetragen haben Sabotageakte. Nachdem im Herbst 2022 die Nordstream-Pipelines angegriffen worden waren, war Anfang Oktober 2023 in der Gaspipeline Balticconnector zwischen Finnland und Estland der Druck gefallen. Auch ein Datenkabel war betroffen. Die finnische Regierung geht von mutwilliger Beschädigung aus. Wenige Tage später meldete die schwedische Regierung Schäden an einem Unterseekabel nach Estland. Die INER-Forscher sehen einen „Trend in Richtung teilweiser Autarkie“ als Reaktion auf solche Ereignisse. In den nordischen Ländern folge man diesem schon länger.

Eine neuralgische Stelle der Ostsee ist das Seegebiet zwischen der russischen Enklave Kaliningrad und der schwedischen Insel Gotland. Würde Moskau seine Wirtschaftszone maximal auslegen, wäre der litauische Hafen Klaipeda, der auch aus Kiel angelaufen wird, nur noch schwer erreichbar.

Der Handel im Ostseeraum steht unter Druck. Die meisten Reedereien können dies aber durch stabile Zahlen im Tourismus abfedern. Die Reederei Finnlines (Helsinki) etwa musste in den ersten drei Quartalen 2023 ein Umsatzminus von 8 Prozent gegenüber 2022 hinnehmen. Der Rückgang resultiert aus rückläufigem Waren- bei steigendem Passagierverkehr. Finnlines verbindet etwa Lübeck-Travemünde mit Malmö und Helsinki. Die schwedische Stena Line, die Kiel und Göteborg sowie Rostock und Trelleborg verbindet, konnte 2022 im Fracht- und Passagiergeschäft nach den Pandemiejahren zulegen, rechnet aber mit einem schwierigen Jahr 2023. So gab die Reederei im Oktober bekannt, dass sie die erst 2022 geschaffene Fährverbindung zwischen dem schwedischen Nynäshamn und dem finnischen Hanko auch aufgrund der schwierigen geopolitischen Lage einstellen muss.

130.000

Intermodaleinheiten hat der Lübecker Hafen 2022 umgeschlagen.

Quelle: LHG

DFDS – unter anderem Kiel–Klaipeda – machte im dritten Quartal gegenüber dem Vorjahreszeitraum Verlust. Gelitten hat auf der Route ins Baltikum der Passagierverkehr, die Sparte Logistik und Güterverkehr konnte sich sogar leicht verbessern.

Bei der Reederei Scandlines, die die Linien Puttgarden–Rødby und Rostock–Gedser betreibt, wird nach einem sehr guten Jahr 2022 sowohl beim Passagier- als auch beim Güterverkehr für das laufende Jahr mit gedämpftem Wachstum gerechnet.

Der Rostocker Hafen setzt nach dem Aus der direkten Russland-Verkehre auf eine Hinwendung des nordischen, vor allem finnischen Außenhandels nach Kontinentaleuropa. Angesichts des Baus der festen Fehmarnbeltquerung arbeitet Rostock daran, sich als Alternative zu positionieren, etwa durch eine Ausweitung des Eisenbahngüterverkehrs nach Trelleborg.

Wachstum Richtung Baltikum

Wie die Kollegen in Kiel beobachtet auch der Hafen in Lübeck eine wachsende Nachfrage nach intermodalem Verkehr. Mit einem Umschlag von 130.000 Einheiten im Jahr 2022 hat sich das Volumen gegenüber 2012 mehr als verdoppelt. Derzeit werden die Kapazitäten am Skandinavienkai ausgebaut.

Lübeck sieht nach der Einstellung der Verbindungen nach Russland ein Wachstum der Verkehre ins Baltikum – diesen folgten auch die Warenströme. Auf den Bau der Fehmarnbeltquerung will Lübeck mit einer Anbindung des Skandinavienkais an die Hinterlandanbindung reagieren. Als zentrale Herausforderung betrachtet die Hafengesellschaft LHG die IT-Sicherheit: „Durch den Krieg in Osteuropa ist hier ein neues Level erreicht“, sagt Sprecherin Natascha Blumenthal. Sicherheitsmaßnahmen würden kontinuierlich optimiert: „Dabei sensibilisieren wir auch unsere Beschäftigten für mögliche Cyberbedrohungen.“

Scandlines bleibt für die Verbindung Puttgarden–Rødby trotz des Fehmarnbel-Tunnels zuversichtlich. Im kommenden Jahr soll die erste emissionsfreie Fähre in Betrieb gehen. Die direkten Auswirkungen des Ukraine-Kriegs sind für Scandlines gering. Jedoch wurden alle russischen und belarussischen Produkte aus den Shops in den Fährhäfen entfernt. (jpn)

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