„Ever-Given“-Havarie: Untersuchungsbericht belastet Suezkanal-Lotsen

Die Schifffahrtsbehörde von Panama kommt zu dem Ergebnis, dass es unmittelbar vor dem Unfall an Bord zu gravierenden Fehlern gekommen ist. Im Zuge der Havarie im März 2021 hatten sich mehr als 400 Schiffe vor dem Ein- und Ausgang der wichtigsten Wasserstraße der Welt gestaut.

Die Schifffahrtsbehörde von Panama (Panama Maritime Authority, PMA) hat ihren abschließenden Untersuchungsbericht zur Havarie der „Ever Given“ im Suezkanal vorgelegt, in dem sie zum Teil gravierende Versäumnisse an Bord rügt.

Die Behörde ist für die Untersuchung mit zuständig, da die „Ever Given“ nach wie vor im offenen Schiffsregister von Panama eingetragen ist.

Am 23. März 2021 war das 400 Meter lange Schiff im Suezkanal auf Grund gelaufen, hatte sich quer gestellt und über sechs Tage hinweg die wichtigste Wasserstraße zwischen Asien und Europa blockiert. Mehr als 400 Schiffe stauten sich vor dem Ein- und Ausgang der Wasserstraße.

Der 68-seitige Bericht der PMA legt nahe, dass für die Suezkanal-Behörde (Suez Canal Authority, SCA) tätige Kanallotsen einen wesentlichen Anteil an der Havarie haben könnten. Die Ergebnisse decken sich im Wesentlichen mit Erkenntnissen, die bereits wenige Monate nach der Havarie im Zuge eines Gerichtsverfahrens zwischen der Eignerin der „Ever Given“, Shoei Kisen, und der Suezkanal-Behörde ans Licht gekommen waren.

Offiziell muss der Kapitän das Kommando behalten

Kein Schiff darf den Suezkanal ohne Lotsen an Bord passieren. Offiziell behält der Kapitän zwar sowohl die letzte Entscheidungsgewalt als auch die Kontrolle über das Schiff; es kommt jedoch immer wieder vor, dass Kapitäne die Kommandos der Lotsen de facto immer hinnehmen und auf die Expertise der Suezkanal-Mitarbeiter vertrauen.

Laut PMA-Bericht haben weder die Lotsen, noch der Kapitän die Wetterverhältnisse angemessen beurteilt, bevor das Großcontainerschiff mit einer Stellplatzkapazität von 20.388 TEU in die Wasserstraße einfuhr. Zum damaligen Zeitpunkt war ein Sturm im Anzug. Vier Häfen in der Nähe der Kanaleinfahrt waren aus diesem Grund geschlossen, hatte das Gerichtsverfahren im Jahr 2021 ergeben.

Der höherrangige SCA-Lotse hatte dann nach Erkenntnissen der Prozessbeteiligten die Entscheidung getroffen, den Kanal zu passieren. Bereits nach wenigen Kilometern sei die „Ever Given“ dann von starken Winden erfasst worden und ins Schlingern geraten. Grund hierfür könnten die hohen Containeraufbauten gewesen sein, die wie ein riesiges Segel fungiert haben könnten.

Wie das Gerichtsverfahren ergab, hat einer der beiden Lotsen nach Aussagen von mit den Inhalten des Sprachrekorders der „Ever Given“ vertrauten Insidern ungewöhnlich aggressive Kommandos gegeben und verlangte von dem indischen Kapitän, hart rechts und unmittelbar danach hart links zu steuern.

Laut PMA-Bericht kommt nun erschwerend hinzu, dass es der Kapitän des Schiffs entgegen seiner Verpflichtung unterlassen habe, aktiv in die Steuerung des Carriers einzugreifen. Zudem, so die mit der Analyse der Havarie betrauten Experten, sei es auf der Brücke zusätzlich zu Verständnisschwierigkeiten zwischen Lotsen und dem Kapitän gekommen.

Zu schnell durch die Wasserstraße gefahren

Des Weiteren soll die „Ever Given“ viel zu schnell gefahren sein. Laut PMA-Bericht fuhr das Schiff mit einer Geschwindigkeit in Höhe von 12 bis 13 Knoten; die Höchstgeschwindigkeit in der Wasserstraße liegt bei 8,64 Knoten.

Laut Gerichtsverfahren von 2021 brach dann Streit zwischen den beiden Lotsen aus. Einer der beiden hatte erfolglos versucht, die Anweisungen seines Kollegen zu widerrufen.

Durch die hohe Geschwindigkeit haben sich, so der PMA-Bericht, die Auswirkungen des sogenannten Banking-Effekts bemerkbar gemacht. Wenn sich ein Schiff parallel einem Ufer nähert und die vom Schiffskörper verdrängten Wassermassen an Land treffen, entstehen gewaltige Kräfte, die dazu führen, dass der Bug des Schiffs vom Ufer weggeschoben wird, während das Heck näher ans Ufer herangezogen wird. Je schneller das Schiff dabei fährt, desto stärker ist der Banking-Effekt.

Der Bericht empfiehlt als Konsequenz der Vorkommnisse zusätzliche interne Audits für Betreiber und Manager, spezielle Schulungen für den Transit durch den Suezkanal und Trainingskampagnen für das Brückenteam. Der Suezkanal-Behörde wird geraten, ihre Verfahren und Vorschriften zu überprüfen, Lotsen für das Manövrieren größerer Schiffe zu schulen, Englisch als Arbeitssprache durchzusetzen und ein System von Warnhinweisen und Notfallplanverfahren einzuführen.

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