Fahrerstreik beendet – „Wichtiges Signal an die Branche“

Der Protest osteuropäischer und zentralasiatischer Fahrer eines polnischen Speditionsunternehmens an der Raststätte Gräfenhausen wegen ausstehender Zahlungen ist beendet. Eine Übereinkunft schafft Rechtssicherheit und regelt die finanzielle Situation, wie Verhandlungsführer Edwin Atema der DVZ bestätigt.

Einigung in der Auseinandersetzung osteuropäischer und zentralasiatischer Fahrer mit einem polnischen Speditionsunternehmen: Die Streikenden beenden ihren Ausstand und kehren zu ihren Familien zurück. Das erklärte Verhandlungsführer Edwin Atema von der niederländischen Transportgewerkschaft FNV gegenüber der DVZ.

Dafür habe zunächst die Unternehmensgruppe ihre Anzeige bei der Staatsanwaltschaft Darmstadt gegen die Fahrer zurückgezogen und zugesichert, auch künftig auf rechtliche Schritte zu verzichten. Darüber hinaus erfolgen auch Zahlungen an die Fahrer, zu deren Höhe und Ursprung sich Atema nicht äußern wollte. Sie kämen aus verantwortungsvollen Händen, sagte er. In den vergangenen Wochen hatte er an die Unternehmen in der gesamten Lieferkette rund um das säumige Unternehmen appelliert, ihre Verantwortung für die Fahrer wahrzunehmen.

Der Gewerkschafter zeigte sich erleichtert über das Ende der dramatischen Situation, die er als humanitäre Krise bezeichnete. Für knapp eine Woche waren mehr als 30 Personen in den Hungerstreik getreten, um aufzurütteln und darauf aufmerksam zu machen, dass ihre Familien in den Heimatländern durch die ausstehenden Zahlungen nichts mehr zu essen hätten. Daraus seien mehrere medizinische Notfälle entstanden, die in mindestens einem Fall lebensbedrohlich waren. „Die Notärzte haben meinen Mitarbeitern gesagt, dass der Fahrer ohne Behandlung am nächsten Morgen nicht mehr aufgewacht wäre“, berichtet er erschüttert.

Genügend kritische Situationen für ein Gewerkschafterleben

„So etwas sollte nicht zu unserer Arbeit gehören“, sagt er und fügt hinzu: „Wir haben hier in diesen zehn Wochen mehr kritische Situationen erlebt als andere Gewerkschafter in einem 50-jährigen Berufsleben.“ Es sei wichtig, dass die Fahrer keine Angst vor den Kosten medizinischer Behandlungen haben müssten und sich jederzeit Hilfe suchten. Sprachbarrieren, unzureichende Information und gezielt verwirrend formulierte Verträge verhinderten dies jedoch viel zu oft.

Dennoch ist er froh über die gerade überstandene Situation. „Wir haben die Verantwortung angenommen, Fahrern zur Seite zu stehen und für sie zu verhandeln, von denen praktisch keiner eine Sprache beherrscht, in der wir uns ausdrücken können“, erzählt Atema und fügt stolz hinzu: „Am Ende haben wir trotzdem einen großen Erfolg erzielt, der sicher nachwirken wird.“

Dem polnischen Unternehmer könne man dabei beinahe dankbar sein, dass er mit seinen skrupellosen Aktionen die Missstände in Teilen der Transportwirtschaft so deutlich aufgezeigt habe. Es sei bei den schwarzen Schafen der Branche gang und gäbe, dass protestierende Fahrer, die ihnen zustehende Zahlungen verlangten, nachts mit Gewalt aus den Fahrzeugen geworfen würden und die Spedition die Lkw mit einem Zweitschlüssel zurückfahre. „Wegen fehlender Sprachkenntnisse können die Fahrer der Polizei dann nicht einmal erklären, was vorgefallen ist“, beklagt der Gewerkschafter.

Toxische Verhältnisse beenden

In der Road Transport Due Diligence Foundation arbeite er daran, die toxischen Verhältnisse im europäischen Transportmarkt zu beenden. Diese Arbeit sei durch die Ereignisse dieser Woche einen großen Schritt vorangekommen, empfindet Atema. Als ausschlaggebend dafür nennt er das Einschreiten von Bundesarbeitsminister Hubertus Heil sowie des Bundesamts für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA) als für das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG) zuständige Kontrollbehörde.

„BAFA-Präsident Thorsten Safarik hat am Montag hier vor Ort öffentlich erklärt, dass die Fahrer Opfer von Menschenrechtsverletzungen durch das polnische Unternehmen geworden sind“, betont er. Diese klare Einordnung der Arbeitsbedingungen habe bislang in der Auseinandersetzung gefehlt. Zusammen mit Lieferkettenrecherchen bei den Auftraggebern der Transporte belege das die Wirksamkeit des LkSG als Vorstufe des EU-Lieferkettengesetzes, der Corporate Sustainability Due Diligence Directive (CSDDD).

„Deutschland duldet nicht, dass Löhne willkürlich vorenthalten werden“

Diese Einschätzung teilt auch das Bundesarbeitsministerium: „Deutschland duldet nicht, dass Löhne willkürlich vorenthalten werden. Geschieht dies systematisch, sind auch die Auftraggeber hierzulande in der Verantwortung. Das gilt auch für Auftraggeber von Unternehmen der Transportbranche“, hatte die Behörde auf Anfrage der DVZ mitgeteilt. Das LkSG verpflichte deutsche Großunternehmen, bei der Auswahl ihrer Speditionen ihrer Unternehmensverantwortung gerecht zu werden. Deshalb werde das BAFA Unternehmen, die als Auftraggeber mit der polnischen Unternehmensgruppe in Verbindung gebracht werden, bei seiner vom Gesetz vorgesehenen Kontrolltätigkeit gewissenhaft prüfen.

Darüber hinaus hat das Bundesamt Arbeitgeberverbände und Gewerkschaftsvertreter für den 16. Oktober zu einem Termin in die zuständige Außenstelle nach Borna (Sachsen) eingeladen, „der dazu beitragen soll, dass eine derartige Situation sich nicht wiederholt“. Das erklärte ein Sprecher des BAFA auf Anfrage der DVZ. Begleitet von Mitarbeitern der zuständigen Fachabteilung hatte BAFA-Chef Safarik in dieser Woche an der Raststätte Gräfenhausen Frachtbriefe gesichtet und Informationen gesammelt, die ihnen die Fahrer freiwillig zur Verfügung stellten.

„Meine Mandanten aus beiden Streiks haben mir die Erlaubnis erteilt, sämtliche Unterlagen zur Überprüfung der Lieferkette an das BAFA weiterzugeben“, verrät Atema. Er appellierte an Auftraggeber, künftig ihre Verantwortung wahrzunehmen. Es werde Zeit, gemeinsam gegen die schwarzen Schafe der Branche als Systemtäter vorzugehen. Der mutige Streik der Fahrer in Gräfenhausen sei dabei weit mehr als ein erster Meilenstein gewesen.

Unternehmen sollen Aufträge verantwortungsvoll vergeben

„Gute Disponenten wissen schon lange, wer fragwürdig arbeitet – es fehlte ihnen aber bislang an der nötigen Rückendeckung, dagegen einzuschreiten“, berichtet der Gewerkschafter. Nun müssten sie verhindern, dass noch einmal Ladungen auf die blauen Fahrzeuge der polnischen Speditionsunternehmen verladen würden. Es gehe darum, die Lieferkette transparent zu machen und durch den Verzicht auf mehrfache Weitervergaben zu verkürzen.

Außerdem forderte er die polnischen Behörden dazu auf, dem Unternehmer seine Transportlizenz zu entziehen. Zugleich relativiert er seine Hoffnung auf diesen Schritt. Schließlich sei die polnische Regierung vor den Europäischen Gerichtshof (EuGH) gezogen, um die im EU-Mobilitätspaket vorgesehene Rückkehrpflicht der Fahrzeuge an den Firmensitz nach einer Einsatzzeit von acht Wochen im Ausland zu kippen.

Die Streiks in Gräfenhausen hätten gezeigt, wie wichtig ein starker Zusammenhalt sei. „Die Fahrer dort haben sich gegenseitig vor Gewalt durch das Unternehmen beschützt“, sagt Atema. Seine Gespräche belegten zudem, dass seriös arbeitende Unternehmen und Fahrer dasselbe Ziel im Hinblick auf die Arbeitsbedingungen hätten. „Deshalb bin ich nach dem erfolgreichen Ende des zweiten Streiks so optimistisch wie lange nicht, dass sich die toxischen Arbeitsbedingungen in Teilen der Branche durch die europäischen Due-Diligence-Initiativen wirklich verändern lassen“, resümiert Atema.

Ihr Feedback
Teilen
Drucken

Sie sind noch kein Abonnent?

Testen Sie DVZ, DVZ-Brief oder DVZ plus 4 Wochen im Probeabo und überzeugen Sie sich von unserem umfassenden Informationsangebot.

  • Online Zugang
  • Täglicher Newsletter
  • Wöchentliches E-paper

 

Zum Probeabo

Jetzt 4 Wochen kostenlos testen

Kundenservice

Sie haben Fragen? Kontaktieren Sie uns gerne.

Sie sind noch kein Abonnent?

Testen Sie DVZ, DVZ-Brief oder DVZ plus 4 Wochen im Probeabo und überzeugen Sie sich von unserem umfassenden Informationsangebot.

  • Online Zugang
  • Täglicher Newsletter
  • Wöchentliches E-paper

 

Zum Probeabo

Jetzt 4 Wochen kostenlos testen

Kundenservice

Sie haben Fragen? Kontaktieren Sie uns gerne.

Kundenservice

Sie haben Fragen? Kontaktieren Sie uns gerne.

Nach oben