Gewerkschafter: „Einfach die Fahrer selbst befragen“

Zu den wichtigsten Lehren aus dem zweimaligen Arbeitskampf von Lkw-Fahrern an der hessischen Raststätte Gräfenhausen gehört es, dass Auftraggeber ihre Verantwortung für die Lieferkette wahrnehmen müssen. Das betonten Vertreter einer Diskussionsrunde, die das DGB-Beratungsnetzwerk Faire Mobilität gemeinsam mit der Friedrich-Ebert-Stiftung in Berlin organisiert hat.

Die Arbeitsbedingungen der Lkw-Fahrer, die im Frühjahr und Sommer ihre Fahrzeuge an der hessischen Raststätte Gräfenhausen abstellten und von der polnischen Unternehmensgruppe Mazur ausstehende Gelder einforderten, sind kein Einzelfall im internationalen Straßengüterverkehr. Das bekräftigten Teilnehmer einer Diskussionsveranstaltung in Berlin, die das DGB-Beratungsnetzwerk Faire Mobilität und die Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) gemeinsam ausrichteten. „Sie finden an jedem Wochenende an jeder deutschen Raststätte zwischen fünf und zehn Lkw-Fahrer, denen es genauso geht wie den Protestierenden in Gräfenhausen“, betonte Edwin Atema von der Road Transport Due Diligence Foundation, der die Fahrer in beiden Auseinandersetzungen als Verhandlungsführer vertreten hat.

„Die europäischen Gesetze für den Straßengüterverkehr sind inhaltlich gut; aber momentan sind sie nicht einmal das Papier wert, auf dem sie gedruckt sind – weil niemand sie durchsetzt“, kritisierte der niederländische Gewerkschafter. Zu dieser Situation komme es, weil rund um die Kontrollen ein einziges Chaos und Zuständigkeitswirrwarr herrsche, sagte auch Michael Wahl, Branchenkoordinator internationaler Straßentransport bei Faire Mobilität.

Gewerkschafter kritisiert zu viele Zuständigkeiten

So solle der deutsche Zoll zwar Mindestlohnkontrollen durchführen, könne aber durch fehlende Software die Fahrtenschreiber nicht auslesen. Dafür müsse er das Bundesamt für Logistik und Mobilität (BALM) hinzuziehen, das wiederum für die Überwachung von Lenk- und Ruhezeiten, Ladungssicherung und Kabotageverstößen zuständig sei. Die Verstöße der Unternehmensgruppe Mazur müsse dagegen die Arbeitsinspektion in Polen ahnden, die wiederum keinen Zugriff auf die Fahrerkarten bekommen könne, weil die Fahrzeuge so gut wie nie im Stammland der Spedition unterwegs seien.

„In dieser Situation ist es kein Wunder, wenn Unternehmen geltendes Recht brechen, ohne Konsequenzen zu fürchten“, unterstrich Wahl. Deshalb sehe er die Auftraggeber solcher Firmen mit in der Verantwortung dafür, dass die Menschenrechte von Fahrern nicht so verletzt werden wie bei jenen aus Gräfenhausen. „Das sieht auch das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG) vor“, unterstrich der Arbeitnehmerberater.

DGB will Untervergabe beschränken

Dabei genüge es nicht, die Dienstleister schriftlich bestätigen zu lassen, dass sie sich an die Vorschriften halten oder beispielsweise auch eine Untervergabe von Transporten zu untersagen. „Zur Verantwortung eines Unternehmens gehört es auch, sich persönlich bei den Fahrern über ihre Arbeitsbedingungen zu informieren, während sie täglich Ladungen aufnehmen“, sagte Wahl. Das sei einfach, zumutbar und auch moralisch geboten. Es gehe nicht an, Zustände zu ignorieren, die den Auftraggebern lange bekannt seien.

„Die Untervergabekette muss gebrochen werden“, hob Stefan Körzell, Mitglied des Geschäftsführenden Bundesvorstands des DGB. Scharfe Kontrollen und Sanktionen hält er für notwendig. Um Geschäftsgebaren wie bei Mazur zu verhindern, spricht sich Carsten Stender, Abteilungsleiter Europäische und Internationale Beschäftigungs- und Sozialpolitik im Bundesministerium für Arbeit und Soziales, für den Entzug von Lizenzen aus. Im deutschen Gewerberecht gebe es die Formulierung der Unzuverlässigkeit. Wenn jemand unter Beweis gestellt habe, dass er zur Ausübung seines Gewerbes nicht geeignet und nicht zuverlässig ist, dann müsse man die Lizenz entziehen.

Auch die unzumutbaren Zustände an den Rastplätzen ohne bezahlbare Duschen oder Toiletten war ein Thema bei der DBG-FES-Veranstaltung. Es fehlten Wasseranschlüsse, der Betreiber der Toilettenanlagen Sanifair sei zu teuer und Duschen häufig kaputt, sagte Wahl.

Experten sehen Sozialmaut als Lösung

Eine Lösung ist den Gewerkschaftern zufolge, von der Lkw-Maut einen Cent pro Kilometer für in sanitäre Anlagen aufzuwenden. Tiny Hobbs vom Kraftfahrerkreis Südhessen bei Verdi fordert, dass damit an den Rastplätzen für medizinische Versorgung, gesunde Ernährung, Möglichkeiten, Wäsche zu waschen sowie kostenfreie Duschen und WC gesorgt wird.

Nicht nur die Versorgung, auch die Rechtslage macht Fahrern zu schaffen. Derzeit gelte, dass ein Aufenthaltstitel an die Arbeit gebunden ist, Gabriele Bischoff, Mitglied im Europäischen Parlament. Bei Kündigung dürfen Arbeitnehmer nicht in Deutschland bleiben. Hier sei eine Reform notwendig, so Bischoff. „Drittstaatler sollen den Arbeitgeber wechseln und auch drei Monate ohne Arbeit sein können, ohne ihre Aufenthaltsberechtigung zu verlieren“, fordert sie.

Europaabgeordnete fordert digitalen Sozialversicherungspass

Schutz und bessere Kontrollen könnte auch ein digitaler Sozialversicherungspass zum Nachweis der Versicherungspflicht bieten, hob Anja Piel, Mitglied des Geschäftsführenden Bundesvorstandes des DGB, hervor. So ein Pass werde allerdings nicht in der nächsten Legislaturperiode kommen, sagte die Europaabgeordnete Bischoff. Das Parlament habe jedoch eine digitale Zwischenlösung vorgeschlagen, die die Kommission aufgegriffen und den Mitgliedstaaten vorgelegt habe. Damit könne der sozialversicherungspflichtige Teil der Beschäftigung digitalisiert und mit einem QR-Code fälschungssicher generiert werden, ähnlich wie bei der Corona-App, um schneller einen Nachweis über die Sozialversicherungspflicht zu erhalten.

Um über die Situation zu beraten, lädt an diesem Montag das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA) zu einem Branchengespräch ein. Dazukommen sollen neben den Gewerkschaften auch Vertreter von Verkehrsverbänden.

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