Transparenz ermöglicht Supply-Chain-Resilienz
Früher war alles volatil, unsicher, komplex und ambivalent. Diese Welt wurde in der Fachsprache mit dem Akronym VUCA umschrieben. „Wir wussten, wie wir mit dieser Welt umzugehen haben und sind dabei auch immer besser geworden“, sagt Ilse Henne. „Wir haben Szenarien ermittelt, wir haben agile Arbeitsmethoden eingeführt, wir haben gelernt, flexibel zu sein. Aber als wir meinten, diese extrem dynamische Welt im Griff zu haben, kamen die Stapelkrisen.“ Gemeint ist das Phänomen, das seit dem Ausbruch der Corona-Pandemie zu beobachten ist: Dass immer wieder eine Krise zu den bereits bestehenden hinzukommt. „Wir sind nun nicht mehr in der VUCA-, sondern in der BANI-Welt“, fügt Henne hinzu. Die Belgierin, Chief Transformation Officer des Werkstoffhändlers Thyssenkrupp Materials Services, trat gestern im Plenum beim Deutschen Logistik-Kongress auf.
BANI steht für brüchig (brittle), ängstlich (anxious), nicht-linear (non-linear) und unbegreiflich (incomprehensible). In dieser Welt brauche es mehr denn je Netzwerklösungen. Hennes Kernthese: „Netzwerke werden Einzellösungen immer schlagen.“ Denn während letztere vor allem auf Effizienzsteigerungen abzielten, ließen sich mit Netzwerken resilientere Lieferketten gestalten. Es sei aber nicht einfach, Netzwerke zu bauen.
In einem Netzwerk sei es einfacher, Probleme zu antizipieren, weil es mehr Informationen geben werde. Dann müsse ein Unternehmen viel weniger zum Beispiel in Sicherheitsbestände oder den Wiederaufbau von Lieferketten investieren. Wichtig dafür seien Investitionen in digitale Lösungen. Doch wenn es darum gehe, in das zu investieren, was nicht greifbar ist, tun sich die Europäer im Gegensatz zu den Amerikanern nach Hennes Ansicht schwer.
Das Idealbild aus ihrer Sicht wäre eine Ende-zu-Ende-Datenkollaboration entlang der Supply Chain. Thyssenkrupp Materials Services arbeitet an einem Tool namens „Forward Sensing“. „Wir wollen fühlen, was in Ketten passieren wird. Wir wollen Transparenz entlang der gesamten Lieferkette schaffen – für jeden Nutzer, in jeder Richtung.“
Hennes Traum sei ein „Facebook der industriellen Daten“, in das man Daten hineinbringt und sie einfach nutzen kann. „Wir wollen also Informationen erzeugen durch das Teilen von Daten – vom ersten Produktionsschritt bis zum Endprodukt.“ Die Vorteile: weniger Versorgungsengpässe, bessere Absatzprognosen, ein optimiertes Produktportfolio sowie ein frühzeitiges Erkennen von Trends, also zum Beispiel potenziellen Marktentwicklungen.
Noch wollten aber viele Akteure mit Intransparenz Geld verdienen. Doch dieser Gewinn stehe nicht mehr im Verhältnis zu den Verlusten aus den vergangenen Krisen. „Geld verdienen wir durch gute Leistung. Wir müssen nur die Art und Weise, wie wir leisten, ändern.“ Und dies werde nur mit transparenten Lieferketten funktionieren. Diese ließen sich nur gemeinsam und Ende-zu-Ende gestalten. Henne: „Dafür braucht es sehr viel Vertrauen.“