Zufall plant die nächsten 100 Jahre
Mittelständische Unternehmen denken langfristig, nicht nur bis zur nächsten Quartalsbilanz oder dem Jahresabschluss. Sich für die nächsten 100 Jahre gut aufstellen zu wollen, ist aber selbst für ein inhabergeführtes Familienunternehmen außergewöhnlich. Trotzdem ist es genau das, was Peter Müller-Kronberg mit dem Transformationsprozess Zufall 100 im Sinn hat: zum 100. Geburtstag des Unternehmens im Jahr 2028 fit zu sein für die nächsten 100 Jahre der Unternehmensgeschichte.
Der 40-jährige Inhaber der Zufall Logistics Group verbindet mit diesem Ziel in erster Linie den Wunsch, seine Verantwortung bestmöglich wahrzunehmen: „Wie müssen wir uns qualifizieren? Was sind unsere Annahmen, worum es in den nächsten 100 Jahren geht?“, fragt er und offenbart, dass er auf diesem Weg bislang mehr Fragen als Antworten hat. „Mein Ziel ist, dass das Unternehmen gut aufgestellt ist für die nächste Generation“, betont er.
Die Selbstreflexion ist für den Vater eines Sohnes zum Ausgangspunkt einer Überlegung geworden, die den Weg des Unternehmens grundsätzlich verändert hat. Chancen und Risiken für eine so langfristige Orientierung in Einklang zu bringen, sei eine andere Herausforderung, als kurzfristig hohe Gewinne zu erzielen. Die eigene Vorstellung von Leistungsorientierung müsse sich dann zwangsläufig verändern, und sie erfordere auch eine andere Führungsphilosophie.
Er spürt, dass sich Grundlegendes geändert hat. „Das bisherige Wirtschaften ist eher auf Verbrauch ausgelegt, und wahrscheinlich landen rund 90 Prozent der Sendungen, die wir transportiert haben, schlimmstenfalls auf einer Mülldeponie. Nur für 10 Prozent geht dagegen der Lebenszyklus weiter“, formuliert er und gibt zu bedenken, dass es auch im gesellschaftlichen Kontext so nicht weitergehen könne.
Peter Müller-Kronberg
Der 40-jährige Inhaber der Zufall Logistics Group lebt mit seiner Frau und seinem Sohn in Göttingen. Bevor der CEO vor zehn Jahren in das Unternehmen einstieg, hat er Eventmanagement studiert, Praktika im Eventbereich des damaligen Formel 1-Teams BMW-Sauber sowie bei Streck Transport in Freiburg absolviert und ein Trainee-Programm bei Hellmann Worldwide Logistics durchlaufen.
Zuhören und ernst nehmen
Müller-Kronberg postuliert zwar noch nicht das Ende der Wachstumsökonomie, hat für sein eigenes Unternehmen aber Erfolg neu definiert: „Wenn wir eine gute Zukunft haben wollen, müssen unsere Mitarbeitenden spüren, dass wir etwas Gutes erreichen wollen, das für sie einen Sinn hat. Und dass wir ihnen zuhören, ihre Ideen ernst nehmen“, ist der Zufall-Inhaber überzeugt.
Motivation und Engagement sind für ihn die Eckpfeiler eines nachhaltigen Ertrags, der die unternehmerische Stabilität über finanzielle Kennzahlen stellt. Dabei setzt er auf wissenschaftliche Erkenntnisse zu Führungsstrukturen und dem Führungsverhalten: „Alte Hierarchien sind mir zu teuer und rückständig, ich will das Potenzial der Menschen nutzbar machen“, formuliert er seinen Anspruch. Dann werde auch die Rentabilität des Unternehmens steigen – wenn es gelinge, die bisherige Herangehensweise auf eine gute Art zu verändern. Als Bewertungsmaßstab nutzt Zufall den Gallup Engagement Index, der die Identifikation von Mitarbeitern mit ihrem Unternehmen abbildet. Deutlich mehr als die Hälfte von ihnen sollen, so das Ziel, in den jährlichen Befragungen eine hohe emotionale Bindung zu Zufall ausdrücken.
Mit diesem ganzheitlichen Anspruch an die Transformation des klassisch aufgestellten mittelständischen Logistikers heranzugehen, hält der Zufall-Chef für einen Wettbewerbsvorteil. Sich darüber zu vergewissern, warum die Vergangenheit wertvoll ist, während längst eine Lernreise begonnen habe, die den vergangenen Erfolg infrage stellt. „Was konkret müssen wir anders machen, wenn wir die Zeichen der Zeit erkennen?“, formuliert er die Aufforderung, die eigenen Zieldimensionen immer wieder zu überprüfen.
Deshalb sei diese Veränderung auch ein Prozess, der nur schrittweise geschehen könne. Es gehe darum, Herausforderungen transparent zu machen, und eine Lernkultur zu etablieren, die sie annehme; Fehler als Wege zum Ziel zu verstehen. „Fertige Antworten haben wir nicht gefunden, aber eine Struktur entwickelt, die uns den notwendigen Kulturwandel ermöglicht“, berichtet Müller-Kronberg. So gehöre es jetzt etwa zum guten Ton, Innovationsprojekte wie die Entwicklung eines CO₂-neutralen Transportprodukts mit einem abteilungs- und standortübergreifenden Aufruf im Intranet zu starten, dem interessierte Kollegen von allen Hierarchieebenen folgen dürfen und sollen.
Strukturierte Innovation
Der Transformationsprozess Zufall 100 begann vor zwei Jahren mit einem Zukunftstag, an dem 350 der 2.100 Mitarbeiter stellvertretend für alle auf die gemeinsame Reise gestartet sind. Ein Kernteam regt die Transformation an, fordert sie ein und trägt sie: Neben Müller-Kronberg als geschäftsführendem Gesellschafter verantworten die Veränderung der Finanzchef Thomas Köhler (CFO), die Personalchefin Julia Wieland (Head of Human Relations), der Nachhaltigkeitsbeauftragte Gunnar Heunisch und Steffen Obermann, der Leiter des Zufall Lab als Innovations- und Experimentierraum. Gemeinsam verkörpern sie den Dreiklang der Nachhaltigkeit aus der wirtschaftlichen, der ökologischen und der sozialen Dimension, die bei Zufall in die Bereiche People (Mitarbeiter und Umfeld), Planet (Umwelt) und Profit – kurz PPP – aufgeteilt ist.
Alle Beteiligten sind sich darüber im Klaren, dass aus ihren Aufgabenfeldern immer wieder Zielkonflikte entstehen, die sie im Gespräch austragen, moderieren und schließlich zu gemeinsamen Entscheidungen führen. Einer ihrer wichtigsten Beschlüsse war es, das Thema Innovation aus dem Tagesgeschäft in das Zufall Lab als geschützten Bereich zu überführen. Damit haben sie drei wesentliche Fortschritte erzielt: das wirtschaftliche Risiko der Transformation minimiert, das Tagesgeschäft vor unfertigen Lösungen bewahrt und für den Werkstattprozess mehr Gestaltungsfreiheit geschaffen.
Mit einem Jahresumsatz von mehr als 410 Millionen Euro und einer Eigenkapitalquote von rund 70 Prozent verfügt die Unternehmensgruppe über eine Basis, die ihr ein nennenswertes Innovationsbudget ermöglicht: Für Forschung und Entwicklung hat Finanzchef Köhler in diesem Jahr 3,5 Millionen Euro vorgesehen. Der Kauf der ersten 14 E-Lkw kostet außerdem 5,1 Millionen Euro. Hinzu kommen 2,8 Millionen Euro für Ladeinfrastruktur und 1,5 Millionen Euro für Photovoltaikanlagen, die Strom mit einer Gesamtleistung von 1,19 Megawatt in der Spitze erzeugen.
Weil eine Transformation kein Schönwettergeschäft bleiben kann, haben die Verantwortlichen auch entschieden, selbst dann am Innovationsbudget festzuhalten, wenn einmal stürmische Zeiten aufkommen und die Gewinne ausbleiben sollten. Sie wollen auf keinen Fall die Chancen verpassen, die neue Herangehensweisen bieten. Beispielsweise ist jetzt schon klar, dass sich die E-Lkw-Flotte auszahlt, die immerhin ein Viertel des eigenen Fuhrparks ausmacht. Sie zieht nicht nur neue Fahrer an, sondern auch Interessenten, für die CO₂-arme Transporte einen hohen Nutzen bieten. Zudem hat sich ein Citylogistikprojekt, aus dem ein neues Geschäftsmodell hervorgegangen ist, langfristig gelohnt. Die Innovation trägt erste Früchte.
„Unser Bestandsgeschäft ist die Grundlage für unsere Arbeit an Innovationen, und es gibt uns den Raum dafür, eine Brücke zu schlagen zwischen langjährigen Mitarbeitern, die effizienzoptimierte Abläufe immer weiter verfeinert haben, und einer neuen Denkweise, die Erfolge der Vergangenheit systematisch infrage stellt“, erklärt Müller-Kronberg. Er glaubt fest daran, dass bei Zufall bis zum 100. Geburtstag in vier Jahren CO₂-freie Logistikleistungen zum Standardangebot zählen werden.