DVZ vor Ort: So wird die Paketzustellung mobil
Die Gründer von Innovative Robot Delivery (IRD) haben sich nichts Geringeres vorgenommen, als die letzte Meile der Paketzustellung zu revolutionieren. Was zunächst nach einer selbstbewussten Vision aus der Präsentation eines Start-ups klingt, könnte bereits im kommenden Jahr Realität werden. Mit einem mobilen Paketautomaten namens „Smarcel“ wollen Boris Mayer, Christof Schares und Christian Borger gleich mehrere Probleme der Branche lösen.
„Wir gehen davon aus, dass sich das Paketaufkommen weiterhin alle sieben bis zehn Jahre verdoppelt“, sagt CEO Mayer. Damit verbunden sei immer mehr Verpackungsmüll, zudem gebe es schlicht zu wenig Arbeitskräfte in der Branche, und bereits heute stocke der Verkehr in Ballungsräumen. Zusätzlich belasten steigende Kosten die Profitabilität der Dienste.
Die Köpfe hinter IRD wissen, wovon sie sprechen, und sind nicht die typischen Jungunternehmer, die gerade von der Uni kommen. Sondern Mayer (57), Schares (59) und Borger (51), die sich selbst als Rolling Stones der Gründerszene bezeichnen, kennen die Sorgen der KEP-Dienste. Sie sind seit Jahrzehnten in der Branche tätig und haben in fast identischer Besetzung vor gut 20 Jahren die Packstation bei DHL erfunden, von der der Marktführer rund 13.000 Stück in Deutschland betreibt. Nun wollen sie für die nächste Innovation in der Branche sorgen.
Eher zufällig ist ihnen die Idee des mobilen Paketautomaten gekommen. Im Oktober 2021 gründeten sie IRD, haben seitdem Fördergelder und Investoren aufgetrieben, an einem Prototyp getüftelt und mit etlichen Paketdiensten in Europa gesprochen.
Aus ihrer Sicht sind die bisherigen Lösungen – auch die von ihnen entwickelte Packstation oder Paketshops – nicht geeignet, um die zuvor skizzierten Herausforderungen zu bewältigen. Sie ließen sich nicht in dem Maße skalieren, wie es für die zu erwartenden Paketmengen erforderlich wäre. Für die stationären Automaten stünden nicht ausreichend Flächen zur Verfügung, zudem sei eine manuelle und damit zeitaufwendige Bestückung nötig. Und das Problem des wachsenden Verpackungsmülls bliebe bestehen.
So funktioniert Smarcel
Ihre Erfindung passt auf einen normalen Pkw-Parkplatz und hat in etwa die Abmessungen eines Sprinters. Im Realbetrieb soll der Smarcel-Automat täglich seinen Standort wechseln und auf privaten Parkplätzen vor Supermärkten oder Banken, aber auch auf öffentlichen Plätzen stehen. Dazu muss das System zunächst als Anhänger von einem herkömmlichen Fahrzeug bewegt werden.
Damit die zugehörige Software den idealen Standort errechnen kann, sollten Empfänger in den Apps der KEP-Dienste Angaben zu ihrem Wohn- und Arbeitsort machen und auswählen, wann sie sich wo aufhalten, erklärt Schares, der Produktverantwortliche. Auf Basis dieser Informationen sollen die Fahrzeuge nachts automatisch in der Zustellbasis eines Dienstes beladen werden.
Bislang funktioniere dieser Prozess noch manuell, und die Fahrer müssten ihre Fahrzeuge händisch füllen, was bis zu 90 Minuten dauere. „Bei rund 25 Euro Bruttoarbeitskosten pro Stunde, mehr als 100.000 Zustellern in Deutschland und etwa 300 Arbeitstagen im Jahr ergibt sich ein Einsparpotenzial von rund 1 Milliarde Euro“, rechnet Schares vor. Um diesen Prozess in der Zustellbasis zu optimieren, müsste ein Förderband die Pakete zur Ladeklappe des Automaten fahren, schlägt er vor. Dort würden die Sendungen dann auf einer Art Tablett abgelegt und eingelagert.
Der Blick ins Innere des Smarcel offenbart ein Hochregallager im Miniaturformat. Es bietet Platz für 130 bis 200 unterschiedlich große Pakete mit einem Maximalgewicht von je 20 Kilogramm. „Damit können wir nach unserer Einschätzung 80 Prozent der Sendungen abdecken“, erklärt Schares. Über ein Ausgabefach an der Stirnseite gibt das Gerät Sendungen an die Empfänger aus und kann gleichzeitig deren Retouren aufnehmen. Ein Display gibt es nicht, die Steuerung erfolgt über die Apps der Paketdienste, die die IRD-Software integrieren müssen.
Um möglichst umweltfreundlich zu operieren, schwebt den Entwicklern ein Mehrwegverpackungssystem vor, das nur für den Transport zwischen Versendern, Paketdiensten und ihren Automaten eingesetzt wird. So soll die Ware geschützt werden und fließbandtauglich bleiben. Bei der Ausgabe an den Empfänger verbleibt die Kunststoffbox im Gerät. Gegenüber einer Haustürzustellung ließen sich somit gut 70 Prozent CO2-Emissionen sparen, zitiert Mayer eine von IRD in Auftrag gegebene Studie.
Um die Entwicklungen zu schützen, haben die Gründer bereits zwei Dutzend Patente in den für sie wichtigen Märkten wie Deutschland, den USA, Japan, Singapur und Australien gesichert. Ihr Patentanwalt, der damals bereits für DHL tätig war, ist neben den drei Gründern einer der Gesellschafter von IRD.
Zur Finanzierung konnten sie zudem Arvato als strategischen Investor gewinnen. „Wir erhoffen uns davon, frühzeitig die Entwicklung neuartiger Systeme zu begleiten und Standards für das Mehrwegverpackungssystem mit zu erarbeiten“, erklärt Dennis Schmitz, Leiter Transport Management bei Arvato, die Motivation für das Invest und ergänzt: „Der Ansatz ist ideal, um eine kostengünstige Zustellung auf der letzten Meile zu bieten.“
Zusätzlich haben elf vermögende Einzelpersonen in IRD investiert. Seit Ende vergangener Woche zählen zudem ein Wagniskapital-Fonds und eine Investorengruppe zu den Gesellschaftern. Mit dem Geld der zweiten Finanzierungsrunde – eine einstellige Millionensumme – will das Team eine Kleinserie der Geräte bauen lassen, die im Frühjahr kommenden Jahres in den realen Test bei einem Paketdienstleister in Europa gehen sollen. Zunächst gehe man in Vorleistung, um die Einführung des Produkts so einfach wie möglich zu machen. Später würden die Systeme erst auf Nachfrage produziert und samt Software an die KEP-Dienste verkauft.
Schares ist sich sicher, dass sich ihr System durchsetze, sobald es sich bei einem Anbieter etabliert habe: „Gegenüber einer Haustürzustellung haben wir nach Berücksichtigung aller Kosten eine Einsparung von 1 Euro je Zustellung.“
Für eine flächendeckende Versorgung seien ihren Simulationen zufolge bis zu 30.000 Geräte in Deutschland nötig. Wann dieses Ziel erreicht ist? Schares: „Unser Businessplan ist eher konservativ. Bis Ende dieses Jahrzehnts rechnen wir mit einem langsamen Wachstum, weil jeder Dienst das System erst testen will. Anfang des nächsten Jahrzehnts erwarten wir den Durchbruch.“