DLK 2023: Was jetzt zu tun ist

Über 2.000 Teilnehmer trafen sich in diesem Jahr beim Deutschen Logistik-Kongress. Die Vielfalt der Themen zeigte, dass die Branche eine Menge Aufgaben hat und teils vor enormen Herausforderungen steht. Die Redaktion hat elf wesentliche Botschaften zusammengefasst.

Auch in diesem Jahr hat sich ein großes Publikum für den Deutschen Logistik-Kongress versammelt. (Foto: Dierk Kruse)

Netzwerk statt Einzellösung

In der heute extrem dynamischen Welt brauche es mehr denn je Netzwerklösungen, betonte Ilse Henne, Chief Transformation Officer bei Thyssenkrupp Materials Services. Ihre Kernthese: „Netzwerke werden Einzellösungen immer schlagen.“ Denn während letztere vor allem auf Effizienzsteigerungen abzielten, ließen sich mit Netzwerken resilientere Lieferketten gestalten. In einem Netzwerk sei es einfacher, Probleme zu antizipieren, weil es mehr Informationen geben werde, sagte die Belgierin in Berlin. Wichtig dafür seien Investitionen in digitale Lösungen. Das Idealbild aus ihrer Sicht wäre eine Ende-zu-Ende-Datenkollaboration entlang der Supply Chain. Hennes Traum sei ein „Facebook der industriellen Daten“, in das man Daten hineinbringt und sie einfach nutzen kann. „Wir wollen also Informationen erzeugen durch das Teilen von Daten – vom ersten Produktionsschritt bis zum Endprodukt.“ Die Vorteile: weniger Versorgungsengpässe, bessere Absatzprognosen, ein optimiertes Produktportfolio sowie ein frühzeitiges Erkennen von Trends.

KI und persönliche Netzwerke

Stefan Paul, der CEO von Kühne + Nagel (KN), betonte in seiner Keynote, wie wichtig es sei, sich als Logistiker intensiv mit künstlicher Intelligenz (KI) auseinanderzusetzen. Er zeichnete dabei ein optimistisches Bild für die Branche. Denn die Anwendung von KI werde zunehmend einfacher, was auch bei der digitalen Transformation helfe. Zugleich müssten in der Logistik immer komplexere Anforderungen erfüllt werden. Dafür brauche es auch in Zukunft Spezialisten. Zudem ermögliche es die Cloud, die Wertschöpfungskette immer besser zu vernetzen und völlig neue Dienstleistungen zu schaffen. „Und mit unserer Kompetenz können wir Logistiker der Mastermind dieses Systems sein“, sagte Paul. Die Cloud und KI seien unabdingbar für die Zukunft der Logistik. Sprachmodelle wie ChatGPT könnten den Menschen seiner Einschätzung nach nicht ersetzen, „wohl aber signifikant entlasten“.

Trotz der rasanten Fortschritte bei KI ist Paul aber davon überzeugt, dass der Mensch nach wie vor die Fäden in der Hand behalten werde. Und ohne das persönliche Netzwerk gehe es auch künftig nicht. Dies sei es letztlich gewesen, das die Welt während der Corona-Pandemie am Laufen gehalten habe. Denn völlig unvorhersehbare Schockereignisse ließen sich nur dann managen, wenn man die Menschen an den Schaltstellen kenne, sich vertraue und gemeinsam improvisiere.

Mehr in KI investieren

Drei Punkte sind für Kay Schiebur, Vorstand Services bei der Otto Group, hinsichtlich künstlicher Intelligenz (KI) essenziell: Erstens ist KI ein Gamechanger, zweitens muss man jetzt damit anfangen und drittens muss man zu allererst die Menschen mitnehmen. „KI wird bleiben, wir stehen erst ganz am Anfang einer exponentiellen Entwicklung“, sagte Schiebur auf dem Kongress.

Das Lamarr-Institut in Dortmund entwickelt derzeit die dritte Generation von KI. Diese erfasst und verbindet Daten, Wissen und Kontext. Dies führt zu einer sogenannten triangulären KI. Die Entwicklung hin zu einer immer ausgeprägteren Vernetzung bezeichnete Prof. Michael ten Hompel, Leiter des Lamarr-Instituts, als digitales Kontinuum. Im Zuge dessen entstehen neue Märkte und Geschäfte. „All das geschieht jetzt und daher müssen sich Unternehmen jetzt darum kümmern“, betonte ten Hompel – selbst wenn momentan die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen nicht die besten seien. Grundsätzlich werde in Deutschland zu wenig in neue Technologien investiert.

„Wie wollen Informationen erzeugen durch das Teilen von Daten vom ersten Produktionsschritt an.“ Ilse Henne, Chief Transformation Officer bei Thyssenkrupp Materials Services

Cybersicherheit verbessern

Noch immer beschäftigen sich viele Logistikunternehmen nicht ausreichend mit der Gefahr durch Hackerangriffe. „Cybersicherheit hat ein Problem: Man sieht sie nicht“, betont Gabi Dreo Rodosek, Inhaberin des Lehrstuhls für Kommunikationssysteme und Netzsicherheit an der Universität der Bundeswehr München. Denn die Frage sei heute nicht mehr, ob man angegriffen wird, sondern wann. Sami Awad-Hartmann, Chief Information Officer (CIO) bei Hellmann Worldwide Logistics, empfahl Vorständen und Logistikentscheidern daher, sich mit Betroffenen auszutauschen, um mehr über die Gefahren zu erfahren. In der digitalen Welt schreite die Entwicklung rasant voran. Künstliche Intelligenz zum Beispiel bietet zwar viele neue Möglichkeiten zum Schutz vor Cyberattacken, aber auch die Angreifer nutzen die neuen Technologien.

Risikoanalysen vornehmen

Die Corona-Pandemie, der Krieg Russlands gegen die Ukraine und zunehmende geopolitische Spannungen: In den vergangenen Jahren gab es immer wieder Schocks, die sich auf die weltweiten Supply Chains teilweise massiv ausgewirkt haben. Grundsätzlich werde das aber nichts an der weltweiten Arbeitsteilung ändern, gab Robert Cameron zu bedenken, Leiter Abteilung Produktion, Logistik und Aftermarket beim Verband der Automobilindustrie. „Wir haben alle von der Globalisierung profitiert.“ Es gebe allerdings zunehmend Risiken, daher müssten Unternehmen Risikoanalysen vornehmen für die Länder, in denen sie aktiv sind. Der Krieg im Nahen Osten habe noch keine nennenswerten Störungen weltweiter Lieferketten verursacht.

Eine gewisse Unsicherheit gehe von China aus. „Wir müssen aber deswegen nicht unser Geschäftsmodell neu definieren“, betonte Tim Scharwath, CEO DHL Global Forwarding. Multinationale Konzerne überprüften ihre Lieferketten und Produktionsstandorte. Grundsätzlich dürfte es für sie schwer sein, einen zu China vergleichbaren Markt zu finden. Das unterstrich Oliver Wieck, Generalsekretär bei der Internationalen Handelskammer (ICC). „Unternehmen setzen daher eher auf eine China+1-Strategie.“ Das bedeute die Erschließung weiterer Beschaffungs- oder Absatzmärkte, um das Geschäft stärker zu diversifizieren. „Ich sehe allerdings derzeit keine revolutionären Änderungen in den Beschaffungsstrategien“, konstatierte Cameron.

Auf Prognosen kommt es an

Der Einsatz von Technik in der Handelslogistik sei in Zukunft wichtig – aber eben nicht nur im Lager, sagte Christoph Tripp, Professor für Distributions- und Handelslogistik an der Technischen Hochschule Nürnberg. Die großen Sprünge in der operativen Logistik seien nur möglich, wenn Händler zusätzlich über Technik für möglichst präzise Prognosen verfügten. Nur mit „ausgezeichneten Prognosekompetenzen“ sind Händler laut Tripp in der Lage, Kapazitäten an künftiger Nachfrage auszurichten und kosteneffizient zu arbeiten. Die Verfügbarkeit und Leistungsfähigkeit von Technik sei nicht das Problem. Unternehmen brauchen dem Experten zufolge aber eine völlig andere Kultur und den Mut, Dinge auszuprobieren. „Fehlerkultur ist allerdings nicht gerade etwas, was den deutschen Handel auszeichnet“, sagte Tripp.

Transformation treibt M&A

Gezielte Übernahmen oder Fusionen sichern Zukunftsfähigkeit von Unternehmen. Das betonte Ingo Bauer von der Unternehmensberatung PwC Bauer. Er beobachtet, dass bei solchen M&A-Deals nicht mehr nur Finanzkennzahlen eine entscheidende Rolle spielen, sondern Indikatoren zur Resilienz oder zu den Nachhaltigkeitsambitionen eines Unternehmens wichtiger werden. Ist ein Übernahmekandidat in diesen Bereichen gut aufgestellt, verspreche der Zusammenschluss einen attraktiven Werthebel. Hintergrund sei der zunehmende Transformationsdruck für Logistikunternehmen, der noch nie so hoch gewesen sei wie heute. Makroökonomische Rahmenbedingungen, geopolitische Risiken, neue Technologien und der Klimawandel zwängen Unternehmen, ihre Geschäftsmodelle neu auszurichten, sonst drohe vielen in wenigen Jahren die wirtschaftliche Bedeutungslosigkeit.

„Sprachmodelle wie ChatGPT können den Menschen nicht ersetzen, wohl aber signifikant entlasten.“ Stefan Paul, Chief Executive Officer bei Kühne + Nagel

Mehr für die Gesundheit tun

Die Logistik hat ein Gesundheitsproblem. Das stellte Werner Kissling, Leiter des Centrums für Disease Management fest. Mitarbeitende von Logistikunternehmen hätten die meisten krankheitsbedingten Fehltage von allen Branchen in Deutschland, durchschnittlich fehlten sie 23,6 Tage pro Jahr. Die mit Abstand häufigste Ursache dafür seien psychische Erkrankungen – Tendenz seit Jahren steigend. Für ein Unternehmen mit 500 Mitarbeitenden bedeutet das 11.800 Fehltage und circa 10,5 Millionen Euro an Kosten pro Jahr, rechnete Kissling vor. Führungskräfte haben sich aus seiner Sicht bislang zu wenig mit diesem vordergründig „weichen Randthema“ beschäftigt. Besonderen Nachholbedarf sieht er bei klein- und mittelständischen Unternehmen, große Logistikkonzerne würden seiner Erfahrung nach schon viele Maßnahmen umsetzen.

Kissling riet Firmen, eine Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastungen vorzunehmen, daraus abgeleitete Maßnahmen auf ihre Wirksamkeit zu prüfen und die Beurteilung fortzuschreiben. Gleichzeitig sei es wichtig, Führungskräfte dahingehend zu befähigen, dass sie Erkrankungen frühzeitig erkennen und Gesundheitsgespräche angemessen führen können. Auch Informationsangebote für Mitarbeitende seien wichtig. Am Ende würden sich die Kosten durch wirksame Maßnahmen im Gesundheitsmanagement deutlich reduzieren.

Indien auf Wachstumskurs

Auch wenn das Außenhandelsvolumen von Deutschland mit China in Höhe von 298,9 Milliarden Euro (2022) den Warenaustausch mit Indien (31,4 Milliarden US-Dollar) deutlich übertreffe: Indien gewinne an Bedeutung und holt auf: „Das Land ist mittlerweile die fünftgrößte Volkswirtschaft auf der Welt“, sagte Dirk Matter, Geschäftsführer der Deutsch-Indischen Handelskammer.

Seit knapp zehn Jahren ist Jungheinrich, Anbieter von Intralogistik-Lösungen, in Indien mit einer Vertriebsniederlassung präsent. 2014 hat Jungheinrich in Indien 6 Millionen Euro Umsatz gemacht. „Im letzten Jahr waren es 40 Millionen Euro“, sagte Christian Erlach, Mitglied des Vorstandes von Jungheinrich. Allein im Jahr 2022 habe der Umsatz um 44 Prozent zugelegt. In absoluten Größen sei Indien für Jungheinrich noch keiner der ganz großen Märkte. „Aber es gibt dort noch viel Potenzial“, sagte Erlach.

Diversity fest verankern

Sowohl beim Frauenanteil als auch mit Blick auf die kulturelle Vielfalt und die Altersdiversität gibt es in der Logistikbranche dringenden Aufholbedarf. „Unternehmen sollten Diversität fest in ihren Zielen verankern und mit gutem Beispiel vorangehen“, forderte Josip Tomasevic, Senior Vice President und CPO beim amerikanischen Industriekonzern AGCO Corporation. Dabei könne es hilfreich sein, Personalkennzahlen wie das Vollzeitäquivalent (FTE) zu erheben und sich so einen auf Zahlen und Fakten basierenden Überblick zu verschaffen. Menschen tendieren automatisch dazu, jemanden bevorzugt einzustellen, der ihnen selbst ähnlich ist. Das ist die große Falle, ist Tomasevic überzeugt.

Nachhaltigkeit fordert mehr

Andrea Goeman, SVP Sustainability bei JAS Forwarding, bezeichnete die gestiegenen Anforderungen in der ESG-Berichterstattung als „New Normal“. Die Anforderungen an die Unternehmen in der Logistik stiegen schnell. In Ausschreibungen würden Emissionsbilanzen gefordert, die Verpflichtungen im Nachhaltigkeitsreporting gelten für immer kleinere Unternehmen. EU-Taxonomie und Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD) würden bald die gesamte Branche betreffen. Der entscheidende Faktor für die Unternehmen wird Datenqualität sein, ergänzte Jörg Mosolf, Vorstandsvorsitzender der Mosolf Group, auf dem Podium. (ab/alb/cd/cs/fw/rok)

Auf dem DLK 2023 wurden viele verschiedene Themen besprochen und diskutiert: Hier ging es um Personalthemen. (Foto: Dierk Kruse)
In dieser Runde ging es dagegen um die Zukunft weltweiter Lieferketten. (Foto: Dierk Kruse)
Ilse Henne von Thyssenkrupp Materials Services hielt ein Plädoyer für mehr Transparenz in den Wertschöpfungsnetzen. (Foto: Dierk Kruse)
Der Deutsche Logistik-Preis ging an Dachser und das Fraunhofer IML für das Projekt @ILO. Gemeinsam haben die Partner einen digitalen Zwilling für ein Stückgutlager entwickelt. Packstücke, Assets und Prozesse werden damit in Echtzeit abgebildet. (Foto: Dierk Kruse)
Prof. Michael ten Hompel, Fraunhofer IML, erläuterte trianguläre künstliche Intelligenz. (Foto: Dierk Kruse)
Prof. Thomas Wimmer trug Fliege in Gedenken an den 2020 verstorbenen BVL-Mitgründer Hanspeter Stabenau. (Foto: Dierk Kruse)
Kay Schiebur von der Otto Group führte auf der Bühne einen Roboter spazieren. (Foto: Dierk Kruse)
Leidenschaftlich diskutiert wurde über die Chancen in Indien. (Foto: Dierk Kruse)
Zum letzten Mal wurde am Donnerstagabend auf dem Deutschen Logistik-Kongress im Berliner Hotel Interconti gefeiert. Im kommenden Jahr zieht die Veranstaltung ins Estrel um – und heißt dann „BVL Supply Chain CX“. (Foto: Dierk Kruse)
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