Ukraine: Alternative Transportrouten lassen zu wünschen übrig
Ihre Reise an die Grenze zwischen Polen und der Ukraine hatte sich die Europaabgeordnete Ulrike Müller (Freie Wähler) anders vorgestellt. Mit einer Delegation des EP-Agrarausschusses besuchte sie mehrere Grenzübergänge, um zu sehen, was dort geschehen ist, nachdem die EU-Kommission Mitte Mai aufgerufen hat, „Solidarity Lanes“ einzurichten, alternative Transportrouten, vor allem für den Getreideexport aus der Ukraine. „Wir haben lange Kolonnen von Lkw mit Getreide erwartet“, sagte Müller nach ihrer Rückkehr nach Brüssel. Doch davon war nichts zu sehen. Auch mit dem Zug seien in den vergangenen Wochen nur wenige Waggons Getreide über die Grenze nach Polen gerollt. „Wir haben auch nichts gesehen vom Umladen von Breit- auf die Normalspurbahn, obwohl wir an den größten Grenzübergängen waren“, sagte Müller. „Wir sind sehr ernüchtert.“
Klar sei, dass es ohnehin schwierig ist, die riesigen Getreidemengen, die bis zum russischen Angriff von den ukrainischen Schwarzmeerhäfen aus in alle Welt verschifft wurden, per Binnenschiff, Zug oder Lkw zu exportieren. Und klar sei auch, dass die EU-Kommission selbst oder die Politik keine alternativen Transportmöglichkeiten schaffen kann. „Logistiker müssen die Antworten geben“, so Müller.
Angebote der EU-Kommission sind unbekannt
Doch auch von der Internetplattform, die die EU-Kommission eingerichtet hat, um Logistiker und Getreidehändler miteinander in Kontakt zu bringen, hätten die Gesprächspartner in Polen nichts gewusst, sagte die luxemburgische Abgeordnete Tilly Metz (Grüne). Auch die Ankündigungen der Kommission, sich für erleichterte Grenzformalitäten einzusetzen, die Suche nach Lagerkapazitäten und nach Versicherungslösungen für in die Ukraine fahrende Lkw und Züge zu unterstützen, hätten offenbar noch nicht viel Erfolg gehabt. Er habe den Eindruck gehabt, die Polen bemühten sich ehrlich, die Grenzabfertigung zu beschleunigen, sagte der Italiener Herbert Dorfmann (Südtiroler Volkspartei). Aber Lkw-Fahrer hätten berichtet, immer noch fünf Tage am ukrainischen Grenzposten und drei weitere Tage am polnischen Grenzposten zu warten, weil es keine gemeinsame Abfertigung gebe.
Aufkaufprogramm gefordert
Dorfmann bemängelte auch, dass ein Konzept fehle, wie es ab der polnischen Grenze mit Getreidelieferungen weitergehen soll. Ohne Lager oder taugliche Verbindungen zu Häfen wie Danzig, Hamburg, Rotterdam oder Duisburg werde das Getreide in Polen deutlich unter Weltmarktpreis verkauft und verderbe den örtlichen Landwirten das Geschäft. Norbert Lins (CDU), Vorsitzender des EP-Agrarausschusses, forderte, entweder die EU-Kommission oder das Welternährungsprogramm müssten das Getreide aufkaufen und dafür sorgen, dass es dorthin transportiert werde, wo es am nötigsten gebraucht wird, etwa nach Afrika oder in den Nahen Osten. Dort werde es eine „Hungerkrise“ geben. Es gehe darum, sie abzumildern.
Besonders dringend ist laut Lins der Export von rund sieben Millionen Tonnen Weizen. In einigen Wochen würden die ukrainischen Lager für die nächste Ernte gebraucht, die auf 19 Millionen Tonnen Weizen geschätzt werde, von denen 10 bis 11 Millionen Tonnen für den Export gedacht seien.
Aus den blockierten Schwarzmeerhäfen hat die Ukraine laut EU-Kommission vor dem Krieg pro Monat 5 Millionen Tonnen Getreide verschifft. Im April habe die Ukraine noch 1,2 Millionen Tonnen exportieren können. Lins sagte, die polnischen Behörden hielten einen Export von etwa 1,5 Millionen Tonnen pro Monat über Polen für möglich.
Kommission soll mehr koordinieren
Er kündigte einen Brief der EP-Delegation an die EU-Kommission an mit Forderungen nach einem Getreideaufkaufprogramm, Lösungen für Transportversicherungen und gemeinsame Grenzabfertigung sowie mehr Koordination der Kommission bei der Suche nach Transportmöglichkeiten und Lagerraum. Auch eine gemeinsame Beratung von EP-Agrar-, Verkehrs- und Handelsausschuss über die Probleme in den nächsten zwei bis drei Wochen hält Lins für gut.