Auf der Schiene von Zentraleuropa nach Zentralasien

Verrückt, das bezahlt doch niemand“, dachte Frank Busse, Partner bei HPC Hamburg Port Consulting, bis vor kurzem. In mehr als 14 Jahren als Berater im weltweiten Hafen-, Transport- und Logistiksektor habe er nie Lieferketten im Ost-West-Verkehr über das Kaspische Meer empfohlen. Die Eiserne Seidenstraße zwischen China und Europa – mit bis zu 1,5 Millionen TEU pro Jahr in Spitzenzeiten – war gleichbedeutend mit der nördlichen Route durch Russland, erst seit dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine nimmt der Mittelkorridor via Kaspisches und Schwarzes Meer Fahrt auf. Noch sei diese Infrastruktur „für größere zusätzliche Mengen nicht gemacht“, sagt Busse. Aber die HPC-Mutter, die Hamburger Hafen und Logistik AG (HHLA), stellt die Weichen für wachsendes Geschäft.
Im georgischen Schwarzmeerhafen Poti befindet sich der Hauptsitz von HHLA Project Logistics, Projektspezialist im Kaukasus und in Zentralasien. Weil immer mehr Güter über den Mittelkorridor zwischen Zentralasien und Europa transportiert werden, hat das Unternehmen Ende Februar ein Büro in Almaty (Kasachstan) eröffnet. Weitere Niederlassungen gibt es in Tbilisi (Georgien) und Baku (Aserbaidschan). Den Netzwerkausbau treibt die Tochter HHLA International voran. Sie akquiriert und entwickelt Terminals wie das ukrainische Container Terminal Odessa und ist unter anderem für HHLA Project Logistics sowie die Intermodalgesellschaft Ukraine Intermodal Company zuständig.
Kasachstan als Ausgangspunkt
„Wir haben seit über 20 Jahren eine starke Präsenz im Kaukasus und viel Geschäft in Georgien und Aserbaidschan. Jetzt gehen wir weiter nach Osten und erschließen Zentralasien“, sagt Dominik Landa, der als kommerzieller und Intermodal-Koordinator HHLA International berät. Als Ausgangspunkt für Zentralasien sei Kasachstan als eines der größten Länder der Welt ohne direkten Zugang zum Meer „sehr interessant“, gerade für Projektlogistiker. So verfügt die südliche Region Jambil an der Grenze zu Kirgistan über bedeutende Bodenschätze wie Kohle, Mineralsalze, Phosphorit oder Fluorkohlenstoff. „The Astana Times“ berichtete Ende April, dass dort europäische und asiatische Investoren Ferrolegierungs- und Zementwerke planen, Baumaterialien produzieren sowie Solarkraftwerke, eine Lebensmittelfabrik, Industrie- und Logistikparks errichten wollen. Das hat die HHLA-Gruppe im Blick.
Eine wichtige Rolle spielt dabei die HHLA-Tochter Metrans, die eigene Bahntransporte bislang zwar nur innerhalb Europas bis an die östliche EU-Außengrenze in Małaszewicze (Polen), Dobrá (Slowakei) oder zum Schwarzmeerhafen Constanta (Rumänien) organisiert. China-Verkehre bietet der Bahnlogistiker über multimodale Transport- und Logistikverkaufsplattformen wie Beijing Trans Eurasia International Logistics (BTE) in China oder mit Partnern wie KTZ Express in Kasachstan an. „Wir wollen nicht nur Bahnoperateur von A nach B sein, sondern das Netzwerk nutzen“, sagt Martin Koubek, Direktor Seidenstraße & GUS-Staaten bei Metrans in Prag (Tschechien). Metrans-Kunden wie BTE buchen Ware für verschiedene Destinationen – zum Beispiel in Tschechien, Slowakei, Ungarn, Österreich, Deutschland, Polen. „Wir haben mehr als 600 Züge pro Woche innerhalb des Netzwerks. Da ist es nur logisch, dass wir mit einem Zug verschiedene Destinationen anbieten“, findet Koubek.
Aus HHLA-Sicht „macht es für viele Kunden keinen Sinn, nach Duisburg zu fahren und dann wieder zurück“ nach Zentraleuropa – denn mitten in dieser Region liegt der tschechische Metrans-Hub in Ceská Trebová. Von dort gibt es laut Koubek auch „regelmäßig zwei bis drei Züge pro Woche nach Istanbul“ auf dem Mittelkorridor. Metrans betreibt zudem neben Bilk und Mahart eins von drei intermodalen Containerterminals in Budapest, allerdings seien alle „ziemlich voll“. Zur Entlastung baut die HHLA-Tochter derzeit zwei ungarische Entlastungsterminals in Zalaegerszeg und Szeged, die ab circa 2025 in Betrieb gehen könnten.
Mehrheit wählt Russland-Route
Für China-Europa-Transporte entlang der nördlichen Route durch Russland sieht sich Metrans seit der Übernahme Anfang 2022 von CL Europort mit einem Logistikzentrum in Małaszewicze sowie der strategischen Partnerschaft mit dem dort operierenden Eisenbahnverkehrsunternehmen Eurotrans gut aufgestellt. 98 Prozent der Kunden entscheiden sich nach Koubeks Angaben weiterhin für die Russland-Route, „der Mittelkorridor läuft zurzeit noch nicht regelmäßig“. Mit einem Verkehrsaufkommen von 80.000 TEU ist der Mittelkorridor laut HPC-Experte Busse „nahezu ausgelastet“, gleiches gelte für die kasachischen Häfen Aktau und Kuryk mit 120.000 TEU.
HPC wird bei Projekten entlang der Eisernen Seidenstraße beauftragt. Beispiele sind die Beratung der georgischen Regierung bei der Digitalisierung der Güterabfertigung in den Häfen oder die Ausbauplanung von Bahnterminals in Kasachstan. Laut Busse fangen Investoren jetzt an, Hafenprojekte am Kaspischen Meer in Aktau, Baku und Turkmenbashi (Turkmenistan) sowie am Schwarzen Meer in Georgien, der Türkei sowie Rumänien umzusetzen.
Alternative zur Luftfracht
Die vielen „nassen“ Projekte sind kein Zufall, denn beim Wechsel des Transportmodus stören Wartezeiten den Warenfluss auf der Seidenstraße. Auch auf der Schiene geht es nicht zügig voran, solange es beispielsweise in Kasachstan noch eingleisige Trassenabschnitte gibt. „China-Europa-Verkehre dauern derzeit über diese Route 40 Tage wie mit dem Seeschiff, sind aber deutlich teurer“, sagt Busse. Laut Koubek kostet ein 40-Fuß-Container per Bahn aktuell circa 7.000 US-Dollar, im Vergleich zu 1.000 Dollar auf dem Schiff. Aber als Konkurrenz zur Seefracht sieht er die Eiserne Seidenstraße ohnehin nicht, sondern als Alternative zur Luftfracht.
Auf einer wichtigen Teilstrecke berichtet Koubek von verbesserten Transitzeiten: „KTZ Express garantiert zwischen Altynkol an der kasachisch-chinesischen Grenze bis zum Hafen Poti 15 Tage Maximum.“ Busse erwartet auch an den Nadelöhren des Mittelkorridors „in drei oder fünf Jahren“ deutlich mehr Umschlagkapazitäten. (cs)