Warum CO₂-Emissionen in der Schifffahrt zum Kostenfaktor werden
BAF, CAF, Low Sulphur Fuel Charge, War Risk, VGM, Security et cetera – der Wildwuchs bei den sogenannten „Rate Surcharges“ in der Seefracht sorgt bei Kunden seit jeher für Frust. Die Liste ist aufgrund der internationalen Regulierung mit ihren Auswirkungen auf die operativen Prozesse in der Linienschifffahrt immer länger geworden. Ab 2024 kommt ein weiterer Zuschlag hinzu, und zwar nicht irgendeiner. Mit der geplanten Einbindung der Schifffahrt in den EU-Emissionshandel (Emission Trading System, EU ETS) in drei Stufen bis zum Jahr 2026 nimmt die sich seit langem abzeichnende CO2-Steuer für das Seefrachtgeschäft Formen an. Die Bepreisung der Emissionen gilt als entscheidender Hebel für die Dekarbonisierung und die Wettbewerbsfähigkeit neuer Technologien und Kraftstoffe. Fest steht, dass die neue Surcharge ein ernstzunehmender Kostenfaktor wird.
Erste Kundenrundschreiben der Carrier hierzu gab es bereits im dritten Quartal. Da dachte die Branche noch, dass der Emissionshandel für die Schifffahrt schon 2023 kommen wird. Aufgrund der mühsamen Verhandlungen auf EU-Ebene verschiebt sich der Plan nun um ein Jahr, was bei allen Beteiligten für Erleichterung sorgt. Von den 2M-Partnern Maersk und MSC gab es erste Kalkulationen zu Kosteneffekten, die die gesamte Branche aufhorchen ließen. Für Transporte von Fernost nach Nordeuropa belaufen sich die Kosten für Verschmutzungsrechte laut Maersk auf 170 Euro/FEU, in der Gegenrichtung auf 99 Euro/FEU. Für Verladungen von den europäischen Nordrange-Häfen zur US-Ostküste veranschlagen die Dänen 184 Euro/FEU. Deutlich höher liegen die Kosten für Reefer-Transporte aufgrund des zusätzlichen Energiebedarfs für den Kühlbetrieb im Transit: 276 Euro/FEU für Maersk-Dienste von Nordeuropa zur US-Ostküste.
Allianzpartner und Wettbewerber MSC legt die Latte je nach Trade geringfügig höher oder tiefer. Für den Transatlantik-Dienst (Europa/US-Ostküste) setzt der weltgrößte Carrier 83 Euro/TEU und 248 Euro/FEU Reefer an. Überraschend hoch fallen die Beiträge auf Kurzstreckenverkehren innerhalb Europas aus: 167 Euro/TEU und 500 Euro/FEU Reefer auf der Strecke von Nordeuropa ins östliche Mittelmeer (Griechenland/Türkei). Das dürfte neben dem Umstand, dass in diesem Fall quasi die gesamte Route unter den Emissionshandel fällt, auch daran liegen, dass tendenziell kleinere Schiffe zum Einsatz kommen als auf der Fernstrecke.
Zu Zeiten der Ratenhöchststände Anfang dieses Jahres wären Surcharges in dieser Höhe nicht sonderlich ins Gewicht gefallen. Abgesehen davon war die Frachthöhe angesichts der extremen Engpässe eher zweitrangig. Worauf es ankam, war Platz – überhaupt die Chance zu bekommen, seine Ware zu verschiffen. Inzwischen haben sich die Bedingungen völlig verändert, jedenfalls in den „Headhaul“-Trades aus Asien heraus. Container und Laderaum sind kein Thema mehr. Die Frachtraten für Far East/Europe am Spotmarkt sind von einst 10.000 auf unter 2.000 US-Dollar/FEU gefallen. Im Export von Nordeuropa nach Fernost können die Carrier kaum mehr als 300 bis 400 Dollar/FEU aufrufen. Gemessen an den Marktpreisen für Fracht machen die Kosten für die „EU Allowances“ (Verschmutzungsrechte) für Schiffsabgase also einen beträchtlichen Batzen aus.
Dabei haben Maersk und MSC ihren Berechnungen einen Preis für Emissionszertifikate von 90 Euro/Tonne CO2 zugrunde gelegt. Tatsächlich gingen Analysten in einer Umfrage der Agentur Reuters Anfang November davon aus, dass der Preis für die Zertifikate im Jahr 2024 höher liegen wird: bei 92,43 Euro/Tonne CO2. Einiges spricht dafür, dass es noch teurer wird. Denn als Reaktion auf die vorläufige Einigung der EU-Institutionen zur Einbindung der Schifffahrt in den Emissionshandel zog der Kurs für die EU-Emissionsberechtigungen Ende November bereits rasant an. Schließlich tritt mit dem Seeverkehr ein bedeutender neuer Abnehmer im Zertifikatehandel auf den Plan.
Dass es für die Verlader durch den CO2-Preis auf europäischen Routen in Zukunft tendenziell teurer wird, steht außer Zweifel. Wie viel teurer genau, können Kunden selbst beeinflussen, ist man bei Kühne + Nagel (KN) überzeugt. Ein Ansatz dafür bietet die Auswahl der Carrier und der jeweiligen Dienste, die je nach Schiffssystem sehr unterschiedliche Emissionswerte pro TEU aufweisen. Große und moderne Schiffe mit der jüngsten Motorengeneration bieten da klare Vorteile. So stellt das 24.000-TEU-Schiff – womöglich mit LNG-Antrieb – den alten Panamax-Frachter (5.000 TEU) mit hohem Verbrauch auf der langen Strecke in Bezug auf die CO2-Effizienz klar in den Schatten.
Routenplanung gewinnt an Bedeutung
Analysen in Bezug auf Emissionen von Liniendiensten stellt KN seit ein paar Jahren mit seinem Schiffs-Tracking- und Simulations-Tool Seaexplorer zur Verfügung. „Eine bessere Planung von Routen und die Auswahl effizienterer Services werden weiter an Relevanz gewinnen, um möglichst viel CO2 einzusparen“, erklärt der Konzern. Andere Seefrachtspediteure haben inzwischen ebenfalls Systeme entwickelt oder tüfteln noch daran. Zudem rechnet KN seitens der Kunden mit wachsendem Interesse an bestimmten Abfahrten und Diensten, die mit deutlich teureren, umweltfreundlichen Kraftstoffen durchgeführt würden.
Die Auswahl des Carriers mit der besten Effizienz und einem entsprechend geringen CO2-Zuschlag wäre der erste logische Schritt, wenn es darum geht, den CO2-Kostenblock in der Seefracht zu minimieren. Jedoch ist unsicher, inwieweit ein Carrier sich auf eine Differenzierung der CO2-Zuschläge in ein und demselben Trade einlässt, für den er unterschiedliche Schiffssysteme (Allianz/unabhängig/Extra Loader et cetera) bereithält.
Eine Pauschale, die sich auf durchschnittliche Schiffsgrößen und Betriebsprofile pro Fahrtgebiet bezieht, ist administrativ die einfachste Lösung. Andererseits bietet die CO2-Effizienz den Carriern theoretisch die Möglichkeit, ihre Produkte zu diversifizieren und „Premium“-Services mit neuen Schiffen oder alternativen Treibstoffen zu etablieren und sich dadurch von der Konkurrenz abzuheben. Wie viel Spielraum und Anreizpotenzial sich dafür bietet, hängt auch von den allgemeinen Marktbedingungen ab.
Der auf Ratenbenchmarking und Seefrachtausschreibungen spezialisierte Consultant Transporeon geht davon aus, dass große Verlader in der Lage sein werden, die Kosten für EU ETS auf Basis objektiver Messungen mit den Carriern zu verhandeln. Wesentliche Faktoren dafür seien neben der Auslastung der Schiffe die Ladungsgewichte pro Container, schreibt die Firma. Vor allem für Kunden, die eher leichte Ware befördern lassen – Textilien, Möbel et cetera –, würde dies Sinn ergeben, weil ihre Ladung weniger Emissionen im Transport verursacht als schwere Ladung. Voraussetzung dafür seien systematische CO2-Messungen entlang der Transportkette, wie manche Verlader sie bereits implementiert hätten.
Noch eine Reihe anderer praktischer Fragen sind nicht geklärt. So zum Beispiel, in welchen Intervallen die Höhe des ETS-Zuschlags angepasst wird? Analog zu den Bunkerzuschlägen quartalsweise oder aber nur einmal pro Jahr? Der Stichtag für die Einreichung der Zertifikate aus der Schifffahrt für den Emissionshandel ist schließlich jährlich spätestens am 30.04. für das vorangegangene Jahr. Andererseits sind dem Handel und der Kurssicherung für die Verschmutzungsrechte, deren Preis wie der aller „Commodities“ permanent schwankt, keine Grenzen gesetzt. Timing und Handelsstrategien können sich als Instrumente erweisen, um Kostenvorteile im Emissionshandel zu erzielen. Problem für die Reedereien ist nur, dass sie im Vergleich zu anderen großen Handelsteilnehmern wie den Stromversorgern und Kraftwerksbetreibern kleine Fische sind. „Auch die größten Reedereien werden keine großen Player sein. Die Schifffahrt ist ein reiner Price Taker (Preisnehmer)“, so der Emissionshandelsexperte des Schiffsmaklers SSY, Alastair Stevenson, auf dem HANSA-Forum in Hamburg. Einige Großkunden der Linienschifffahrt – etwa ein Chemieriese wie BASF – hätten hingegen eine viel stärkere Marktposition im Emissionshandel.
Zudem profitieren sie von einer teilweisen kostenlosen Zuteilung von Emissionsberechtigungen. Wie werden solche Großverlader reagieren, wenn sie bei den Reedereien mehr für den CO2-Ausgleich ihrer Transporte berappen sollen, als sie selbst für die Emissionen ihrer eigenen Werke zahlen? Könnten sie auf die Idee kommen, den Handel für die Schifffahrtsemissionen selbst in die Hand zu nehmen? Vollkommen auszuschließen ist das nicht, auch wenn die Änderungsrichtlinie der EU zum Emissionshandel eindeutig den Schiffseigner oder seinen Schiffsmanager als Verantwortlichen nennt. Immerhin müssen die Bestimmungen im kommenden Jahr erst noch in nationales Recht umgesetzt werden – in 27 Ländern. Da könnten gewisse Details noch verändert oder verwässert werden, warnen Insider. (ol)