Warum der Containerschifffahrt ein Kapazitätsüberhang droht

Noch nie gab es so viele Schifffsbestellungen wie derzeit. Der Markt wird eine solche Menge an Transportraum nicht ohne Weiteres aufnehmen können.

Arbeiter der chinesischen Werft Shanghai
Waigaoqiao Shipbuilding Co., Ltd. tragen auf
dem Unternehmensgelände ein Bauteil. (Foto: dpa/Reuters/Aly Song)

Still und heimlich hat sich im Verlauf der vergangenen zwei Jahre ein Bestand an Containerschiffs-Neubauaufträgen aufgebaut, der so groß ist wie nie zuvor in der Geschichte. Selbst 2008, kurz vor dem Kollaps der Weltwirtschaft und dem Beginn einer sich lange hinziehenden Finanz- und Wirtschaftskrise, orderten die Reedereien weniger neue Schiffe als heute. Das damalige Orderbook stand allerdings einer Weltflotte gegenüber, die nur knapp halb so groß war wie heute: rund 12 Millionen TEU im Vergleich zu mehr als 25 Millionen TEU heute.

Corona brachte den Wendepunkt

Die Entwicklung von 2008 bis heute verlief über zwölf Jahre hinweg unspektakulär. Zwar bestellten die Reeder immer noch neue Tonnage, darunter auch große Schiffe und solche mit modernen LNG-Antrieben, dennoch wurden über etwa eine Dekade lang jedes Jahr mehr Schiffe von den Werften ausgeliefert als neue bestellt. Schwache Ladungsvolumina, niedrige Frachtraten und die damit einhergehende enttäuschende finanzielle Performance der meisten Linienreeder sorgten für Zurückhaltung.

Erst Mitte des Jahres 2020 kam dann der Wendepunkt. Die Corona-Pandemie und das im Zuge der globalen Gesundheitskrise folgende Chaos auf den Weltmeeren und in den Häfen hatten die Karten neu gemischt. Die Pandemie hatte gleich einen doppelten Effekt auf den Containerseeverkehr: Zum einen verlagerte sich der Konsum massiv von Dienstleistungen zu Gütern. Zum anderen ließ der Boom des E-Commerce die globalen Warenströme stark ansteigen. Hinzu kam, dass die Effizienz der Häfen und Terminals wegen Personalnot und Lockdowns sank und sich die Schiffe auf See stauten. Zum ersten Mal seit Jahren war Tonnage knapp, und die Frachtraten kannten nur noch eine Richtung, nämlich nach oben. Zum ersten Mal seit Jahren stiegen auch die Charterraten sowie die Preise für gebrauchte Schiffe, und die meisten Linienreeder fuhren nach einer langen Durststrecke erstmals wieder hohe Gewinne ein. Schiffsbestellungen waren die Folge, und Werften in China, Südkorea und Japan wurden mit Neubauaufträgen überflutet – zuerst für große und sehr große Containerschiffe der Neo-Panamax-Klasse (15.000 TEU) und Megamax-Klasse (24.000 TEU) sowie kleine Standardtypen für regionale Verkehre der Klassen Bangkokmax (1.800 TEU) und Chittagongmax (2.800 TEU).

Mit einem Jahr Verspätung kamen auch Bestellungen für die Erneuerung der mittelgroßen Einheiten: In den kommenden Jahren werden zahlreiche hocheffiziente kompaktere Schiffe mit Kapazitäten zwischen 5.000 und 7.000 TEU die zusehends alternden Panamaxe und ähnliche Schiffe ersetzen.

In nur zwei Jahren stieg das Verhältnis von bestellter zu bestehender Flotte (sogenannte Orderbook-to-Fleet Ratio) von einem Tiefpunkt unter 9 Prozent auf rund 30 Prozent. Mehr und mehr setzten sich auch LNG und Methanol als alternative Treibstoffe durch – rund 2,5 Millionen TEU der bestellten Kapazität – und damit rund ein Drittel – sind Schiffe mit dafür geeigneten Tanks und Maschinen. Einerseits trifft dieses riesige Orderbuch nun auf eine Weltflotte, die zu altern beginnt und die langsam, aber sicher die Wende hin zu saubereren und weniger CO2-lastigen Treibstoffen bewerkstelligen muss.

Andererseits werden die meisten dieser neuen Schiffe in den Jahren 2023 und 2024 vom Stapel laufen – genau dann, wenn die Schiffahrtsparty absehbar vorbei sein wird und die Frachtraten niedrig sein werden. Aktuell sind die Container-Frachtraten auf den meisten Routen im freien Fall – zugegeben von einem sehr hohen Niveau. Wo sie sich dauerhaft einpendeln werden, ist noch schwierig zu sagen, aber die Trends sehen – aus Reedersicht – nicht gerade rosig aus.

In den Jahren 2023 und 2024 wird Tonnage in Höhe von 2,5 Millionen und 2,9 Millionen TEU abgeliefert – das entspricht jeweils mehr als 10 Prozent der aktuellen Flottenkapazität. Gleichzeitig sind es jeweils neue Rekordwerte für den jährlichen Flottenzuwachs. Sofern sich die aktuellen negativen Frachtvolumen- und Ratentrends mittelfristig fortsetzen, wird der Markt eine solche Menge an Schiffsraum nicht ohne weiteres aufnehmen können. Es droht die Rückkehr der Überkapazität.

Zunehmend strengere IMO-Regularien zu Schiffsemissionen, wie zum Beispiel der im Januar in Kraft tretende Carbon Intensity Index (CII), könnten zudem dafür sorgen, dass sich der Markt bereinigt und ältere, weniger effiziente Schiffe die Flotte verlassen und verschrottet werden.

Dies könnte ab den Jahren 2023 und 2024 durchaus zahlreiche mittelgroße Containerschiffe betreffen, die gerade mal ein Alter von 15 Jahren erreicht haben, aber deren geringe Chancen am Markt die für den Weiterbetrieb notwendigen Investitionen nicht mehr rechtfertigen.

Einige Reeder sind der Meinung, dass der CII auch stabilisierend auf die Nachfrage nach Tonnage wirken könnte. Ihr Argument fußt maßgeblich darauf, dass Schiffe mit schlechtem CII-Rating in Zukunft nur mit deutlich gedrosselter Geschwindigkeit betrieben werden dürfen. Dies führe dazu, dass sie sparsamer und emissionsärmer würden. Der Kapazitätseffekt träte demzufolge ein, weil insgesamt mehr Schiffe für die Bedienung einer Route benötigt würden.

Allerdings sind bereits schon heute viele ältere und kleinere Schiffe auf Routen mit ohnehin niedrigen Durchschnittsgeschwindigkeiten unterwegs; und selbst die meisten Liniendienste mit großer und moderner Tonnage werden derzeit spritsparend und mit bereits gedrosselter Geschwindigkeit betrieben. Angesichts der schier gigantischen Neubauwelle werden mögliche CII-Effekte somit zumindest kurzfristig kaum ins Gewicht fallen. Den meisten Linenreedern würde eine Periode schwächelnder Raten zuerst nur wenig ausmachen, denn fast jeder Carrier hat inzwischen eine gut gefüllte Kasse. Schwierige Zeiten kommen jedoch gegebenenfalls auf den ein oder anderen Charterreeder zu, denn wenn die Schiffsnachfrage sink, trifft es stets als Erstes den Tramp-Markt.

Ein weiterer Nebeneffekt des riesigen Orderbuchs ist, dass sich die aktuellen Machtstrukturen innerhalb der Branche weiter zementieren. Knapp die Hälfte der bestellten Schiffskapazität konzentriert sich auf die fünf größten Reedereien MSC, Maersk, CMA CGM, Cosco und Hapag-Lloyd. MSC allein hat mit mehr als 1,7 Millionen TEU einen Auftragsbestand, der größer ist als jener der nachfolgenden drei Reedereien zusammen. Am Status quo der Top Ten wird sich insgesamt jedoch nur wenig ändern, auch wenn einige Reedereien im Ranking die Plätze tauschen werden.

Die Reedereien jedenfalls scheinen nicht sonderlich von der Sorge um Überkapazität getrieben zu sein. Immerhin gibt es trotz aller Anzeichen für drohende Überkapazität und historisch hoher Neubaupreise noch immer große Neubaubestellungen: Neben Maersk und MSC haben zuletzt auch Cosco und OOCL gemeinsam zwölf Megamax-Schiffe zum Preis von je 240 Millionen Dollar bestellt – dies sind mit die teuersten Containerschiffe aller Zeiten. Die Sorge vor Überkapazität ist also immer noch geringer als der Drang, die Position im Feld der Reedereien zu halten. (ol)

Jan Tiedemann ist Chefanalyst des Branchendienstes Alphaliner mit Sitz in Paris und Hamburg

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