Cozero-Gründerin Helen Tacke: „Wir wollen für Transport und Logistik Industriestandard werden“
Schon vor einigen Jahren erkannte Helen Tacke die Nachfrage für eine innovative Carbon Management-Software. Im Jahr 2020 gründete sie deshalb mit zwei Partnern Cozero. Im Interview spricht sie über das Angebot und die ehrgeizigen Ziele des Start-ups.
DVZ: Frau Tacke, Sie waren lange im Bereich Venture Capital tätig. 2020 haben Sie dann Cozero gegründet. Warum?
Helen Tacke: Ja, ich komme ursprünglich aus dem Finanzbereich. Ich habe so Nachhaltigkeit zunächst aus der ESG-Brille betrachtet, aber aus dieser Perspektive bemerkt, wie sehr das Thema Fahrt aufnimmt. Der Fonds, für den ich gearbeitet habe, hat damals angefangen, neben klassischen finanziellen Metriken auch Nachhaltigkeits-Kennzahlen der Portfoliounternehmen digital zu tracken. Wir hatten dann die Idee, ein Rahmenwerk aufzusetzen, haben an die Türen vieler großer Unternehmen geklopft, um uns etwas abgucken zu können. Aber da mussten wir feststellen, dass es gar nicht so viel abzugucken gibt.
Die Unternehmen waren noch nicht so weit?
Manche waren noch überhaupt nicht tätig. Und in vielen Unternehmen war die Beobachtung, dass es recht händisch und hemdsärmelig zuging: Klima-Kennzahlen wie CO2 wurden sporadisch und vereinzelt in ein paar Abteilungen protokolliert. Nicht kontinuierlich, und niemand wusste wirklich genau, was die richtigen Kriterien und notwendigen Daten sind. An diesem Punkt habe ich die Chance erkannt, die Seiten zu wechseln und Cozero aufzubauen.
Was ist das Angebot von Cozero?
Unsere Softwarelösung erlaubt eine kontinuierliche Bilanzierung und Analyse von Unternehmensaktivitäten entlang der gesamten Wertschöpfungskette eines Unternehmens und bewertet dessen Klimaauswirkungen, sodass eine ökologische Transformation in Gang gesetzt wird. Mit Blick auf ESG fokussieren wir uns auf den messbaren Bereich „E“, also Environment. CO2 ist für uns gewissermaßen wie der Dollar in der Finanzwelt. Das ist die Einheit, die es in die Vorstands-Meetings schafft, die auch auf Managementebene diskutiert wird. Wir wandeln jegliche Aktivität, Verbrauchsdaten oder auch Accounting-Daten um in CO2-Äquivalente. Wir tracken aber auch andere Klima-Metriken wie Recycling-Quoten oder den Energieverbrauch. Transport und Logistik ist einer unserer Fokus-Sektoren, hier sehen wir einen unheimlich großen Druck von Stakeholdern (wie z.B. eigenen Kunden) und demnach Handlungsbedarf.
Cozero ist eine Plattform. Wie können Firmen diese nutzen?
Unsere Plattform ist in drei Module aufgeteilt: Cozero Log, Act, Share. Im Modul „Cozero Log“ geht es um den Bereich Climate Accounting, also Transparenz der Emissionsdaten, sprich berechnen und verstehen. Dabei schauen wir nicht nur auf die Unternehmensebene, also den klassischen Corporate Carbon Footprint (CCF), sondern auch auf die granulare Produktebene. Das ist ganz entscheidend, denn am Ende des Tages sind das die Kennzahlen, die ein Unternehmen an seine Kunden berichten möchte. Wichtig ist dabei ein kontinuierliches Tracking 365 Tage im Jahr, nicht nur einmal im Jahr zum Stichtag X. Im besten Fall wird das Climate Accounting genauso aufgebaut wie das Financial Accounting & Controlling. Umsatzzahlen werden ja auch nicht nur einmal im Jahr angeschaut.
Soweit sind die meisten Unternehmen wohl kaum.
Das ist wahr. Viele verstehen aber mittlerweile, dass das Thema sehr relevant wird, gerade im Zusammenspiel mit der Finanzwelt. Wir können eine Art digitalen Zwilling der gesamten Organisationsstruktur, inklusive der Standorte, der Abteilungen, der Produkte, abbilden. Das ist für uns ein Schlüssel, wie man dezentrales CO2-Management erfolgreich betreiben kann. Bei unserem zweiten Modul "Act" werden die erhobenen Daten dann optimiert, also um konkrete Dekarbonisierungsmaßnahmen einzuleiten. Wichtig: Wir sind kein Zertifikate-Anbieter, sondern setzen auf Maßnahmen, die tatsächlich Unternehmensemissionen reduzieren. Dazu greift unsere Software immer auf eine Kosten-Nutzen-Perspektive zurück. Hierfür haben wir eine eigene Methodik entwickelt, den sogenannten ROCI.
Was bedeutet das?
Das ist an die Finanz-KPI ROI, Return on Investment, angelehnt. ROCI steht für Return on Climate Investment. Also was bekommt man für einen in eine Reduktionsmaßnahme investierten Euro an Tonnen CO2-Reduktion heraus? Das macht es für das Management und auch Abteilungsleiter wirklich greifbar und planbar. Es wird also deutlich, wie man sein Climate Budget optimal einsetzen kann. Beim dritten Modul „Share“ geht es dann gemäß den regulatorischen Anforderungen um die Kommunikation mit den Stakeholdern, wie zum Beispiel Kunden. Aber auch darum, die eigenen Mitarbeiter mitzunehmen und über die Maßnahmen im Detail zu informieren.
Für viele kleine und mittelständische Unternehmen aus dem Transportsektor ist es noch immer eine große Herausforderung, die relevanten Daten zu erheben. Sehen Sie hier in der Branche aktuell noch das größte Problem?
Viele wissen gar nicht, wo die relevanten Daten zu finden sind oder welche Daten überhaupt gebraucht werden. Da können wir direkt helfen, weil wir bereits aus Erfahrungen mit Kunden aus verschiedenen Sektoren wissen, welches die wichtigsten Unternehmensaktivitäten und bilanzfähige Daten sind. Und so werden die Daten-Lücken nach und nach gefüllt. Da die meisten Unternehmen noch kein eigenes Nachhaltigkeitsteam haben, fehlt da einfach noch das Wissen. Also ist es für uns der erste Schritt, dieses Wissen zu vermitteln, dies tun wir in Form eines Emissions- und Daten-Scoping.
Fokussieren Sie sich auf große Unternehmen mit hohen Emissionen oder soll Cozero auch ein Angebot für kleine und mittelständische Firmen sein?
Wir wollen dort aktiv werden, wo wir einen großen Hebel sehen. Natürlich haben die großen Unternehmen auch einen größeren Impact und sowohl finanziell als auch personell mehr Ressourcen zur Verfügung, um sich dieser Aufgabe zu stellen. Diese Unternehmen können und müssen eine Vorreiterrolle einnehmen. Beim CO2-Management ist der Austausch mit den Lieferanten wichtig, um auch die Scope-3-Emissionen zu senken. Viele kleinere Unternehmen aus der Transportbranche blicken darauf, was sie von den Großen übernehmen können. Deswegen sehen wir einen großen Hebel darin, mit größeren Unternehmen zusammen einen Standard zu setzen. Dieser Standard kann dann auf die Lieferanten, auf das eigene Netzwerk, auf kleinere Partner übertragen werden.
Also liegt ihr Fokus klar auf größeren Unternehmen?
Jein. Wir können auf unserer Plattform große Organisationen mit komplexen Strukturen abbilden, genauso aber auch kleinere Unternehmen, die oft ähnlich komplex aufgebaut sind. Wichtig ist, dass die Handelnden die Ambition mitbringen, etwas zu verändern. Die Größe des Unternehmens ist dann erstmal nicht entscheidend. Viele Transportunternehmen, gerade kleinere und mittelständische Firmen, stehen momentan unter hohem wirtschaftlichem Druck. Und im ersten Schritt kostet Nachhaltigkeit natürlich erstmal etwas. Aber dass mittel- bis langfristig auch Kosten eingespart werden, sehen viele leider noch nicht oder können es gar nicht sehen, weil der Druck im Tagesgeschäft so groß ist. Das ist aktuell noch eine große Herausforderung.
Welche Rolle spielt für Sie das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz, das zum 1. Januar 2023 in Kraft treten soll. Sind die Unternehmen darauf ausreichend vorbereitet?
Für viele Unternehmen besteht eine Gefahr darin, sich jetzt nicht vorzubereiten und dann in naher Zukunft hastig sehr viele Entscheidungen treffen zu müssen. Und das kostet dann erst recht sehr viel Geld, weil man meint, sich etwa kurzfristig Berater ins Haus holen zu müssen. Dann ist man gezwungen, auch die wichtige Grundlagenarbeit, Nachhaltigkeit im Unternehmenscontrolling zu integrieren, zu überspringen. Sich die Details anzuschauen und Innovationen zu planen, ist dann nicht mehr möglich. Vielen Unternehmen kann man das aber nur schwer verübeln. Viele können das Ausmaß noch gar nicht einschätzen. Manche Unternehmen, mit denen wir sprechen, denken sogar, dass sie noch ohne ein CO2-Reporting auskommen. Da ist noch ganz viel Überzeugungsarbeit notwendig.
Welche Ressourcen benötigt denn ein Unternehmen, um mit Cozero zusammenzuarbeiten?
Die meisten Unternehmen starten tatsächlich mit wenig bis gar keinen Ressourcen. Wir empfehlen jedoch mittelfristig, einen Ansprechpartner für Nachhaltigkeit einzuplanen. Das heißt nicht, dass es einen Head of Sustainability geben muss, aber es soll auch keine Überstundenaufgabe werden, so wie es ganz häufig leider der Fall ist. Es sind unterschiedliche Konstellationen denkbar, so oder so ist es notwendig, Ressourcen dafür zu schaffen. Die große Kunst dabei ist, niemanden zu überfordern.
Wie kann das gelingen?
Wir schauen gemeinsam zu Beginn der Arbeit nach dem Prinzip der Wesentlichkeit, was die wichtigsten Treiber einer Klimabilanz sind. Es muss nicht gleich der letzte Bleistift gezählt und bilanziert werden. Ein klarer Fokus ist entscheidend. Dann schauen wir, wo die Daten liegen, welche Daten benötigt werden und welche Personen einbezogen werden müssen. Gerade bei kleineren Unternehmen, wo jeder Einzelne eine Vielzahl an Aufgaben hat, ist es nicht sinnvoll, das Thema nur bei einer Person abzuladen. Besser sind Projektteams von rund fünf Personen, die sich die Aufgaben teilen. So bleibt es auch kein eigenständiges Silo, sondern wird auch schnell in die Organisation und tägliche Entscheidungsprozesse getragen. Die Cozero-Plattform wird auch auf die individuellen Bedürfnisse der Unternehmen angepasst. Ein gut strukturierter Überblick hilft schon enorm.
Das Produkt Cozero mit den drei Modulen "Log", "Act" und "Share" steht nun. Wie soll sich Ihr Unternehmen aber selbst weiterentwickeln? Sind zeitnah Erweiterungen der Plattform geplant?
Unsere Plattform ist ein extrem dynamisches Produkt. Wir müssen das Produkt immer weiterentwickeln, weil sich auch die Regulatorik verändert. Im Bereich "Act", also bei dem Maßnahmen-Management ist am meisten Entwicklungspotenzial. Wir sind hier mit Logistikern, aber auch mit anderen Branchen wie etwa dem Maschinenbau im Austausch, um Innovationen bei uns direkt zu integrieren. Die entscheidende Frage lautet immer: Wie kann ich mein Produkt oder meine Dienstleistung so verändern, dass ein geringerer CO2-Ausstoß verursacht wird? Das wird sich in den nächsten Monaten und Jahren natürlich enorm entwickeln und emissionsoptimierte Produkte und Dienstleistungen werden das Marktgeschehen verändern. Damit beschäftigen wir uns tagtäglich, um in unserer Abdeckung mit diesen Entwicklungen Schritt zu halten.
Welche konkreten Ziele haben Sie sich mit Cozero gesteckt?
Wir haben die Ambition, für Transport und Logistik zu einem maßgeblichen Industriestandard zu werden, denn daran fehlt es meiner Meinung nach. Es gab und gibt schon viele Standards, die jedoch zu klein gedacht sind. Das geht doch gerade in einem lieferketten- und wertschöpfungskettenintensiven Bereich am Ziel vorbei. Wir möchten den Unternehmen eine klare Orientierung bieten und erklären, wo der Fokus unter anderem bei Daten und KPIs liegen muss. Hierzu haben wir auch starke Partner an Bord, denn diese Entwicklung kann nicht nur von einer Plattform oder von einem Technologieanbieter vorangetrieben werden. Des Weiteren möchten wir zu einem so genannten Gigacorn werden. Das heißt, wir wollen zu einem Unternehmen werden, das dazu verhilft, mindestens eine Milliarde Tonnen, also eine Gigatonne CO2 einzusparen. Das ist für uns ein großes Ziel und wir sind auf einem guten Weg.
Wie hoch sind denn die CO2-Emissionen von Cozero? Welche Reduktionsmaßnahmen gibt es bei Ihnen intern?
Wir tracken und reduzieren unsere Emissionen natürlich auch mit unserer eigenen Technologie. Und sind maximal streng mit uns selbst. Unsere Software ist zum Beispiel so programmiert, dass alle Rechenoperationen effizient verarbeitet werden. Allein dafür kümmert sich ein ganzes Team bei uns. Viele Cloud-Anbieter nennen sich zum Beispiel schon klimaneutral, weil sie sich mit Kompensationen, also Zertifikaten, freikaufen. Das rechnen wir bei unserer Bilanz aber nicht an. Unsere Maxime ist maximale Transparenz: Bis inklusive September tracken wir bei Cozero 56,45 t CO₂-Äquivalente. Im Allgemeinen verzichten wir selbstredend auf Inlandsflüge und alle Geräte wie Laptops sind refurbished. Wir empfehlen den Unternehmen auch eher die Herangehensweise zu kommunizieren, anstelle von einem Ziel wie „Klimaneutral bis 2035“. Wenn keine klare Strategie dahinter steht, wird das schnell als unglaubwürdig entlarvt.
Sehen Sie bei den Unternehmen denn den Willen zu ehrlicher und transparenter Kommunikation?
Viele Unternehmen haben noch Vorbehalte, so zu kommunizieren, klar. Denn Marketing und Kommunikation zum Thema Nachhaltigkeit in der Vergangenheit, bei dem häufig unrealistische Ziele genannt wurden, haben viel Schaden angerichtet. Hier benötigen wir mehr Transparenz in der Debatte. Ich bin fest davon überzeugt, dass man mit einer gesunden Portion Offenheit und Austausch auch schneller größere Schritte machen kann. Alleine aufgrund der hohen Abhängigkeit zwischen den Emissionsbilanzen von Unternehmen, können nur über diese Transparenz nachhaltige Dekarbonisierungseffekte in der Wertschöpfungskette erzielt werden. Die gesamte Branche muss sich bewegen und deshalb muss man miteinander reden und voneinander lernen wollen. Davon würden alle deutlich mehr profitieren.