Grün und digital zur Wertschöpfung

Der Druck auf Ladungsspeditionen wächst: Mit der Wirtschaftskrise, dem Green Deal und der Antriebswende müssen sie drei große Herausforderungen gleichzeitig bewältigen. Die Automatisierung verspricht ihnen Zukunftschancen.

McKinsey Senior Consultant Ewald Kaiser erklärte beim 8. DVZ-Forum zur Zukunft des Ladungsverkehrs in Köln den derzeitigen Marktstatus. (Foto: Daniel-Koebe)

Die Zukunft des Ladungsverkehrs ist digital, grün und von Mehrwerten geprägt. Das waren die wesentlichen Botschaften der Experten beim 8. DVZ-Forum Ladungsverkehr in Köln an ihr Publikum. Das mit einem Anteil von 43 Prozent größte Marktsegment des Straßengüterverkehrs ist laut McKinsey-Berater Ewald Kaiser stabil und verfügt über solide Wachstumsaussichten. Margen zwischen 1 und 4 Prozent und eine Wachstumsprognose von durchschnittlich 2,5 Prozent für die Jahre bis 2030 bedeuteten allerdings das Schlusslicht bei der mittelfristigen Entwicklung.

Hinzu kommt die besonders fragmentierte Struktur des Ladungsmarkts: 96 Prozent der Dienstleister verfügen über weniger als 20 Mitarbeiter; für weitere 3 Prozent sind immerhin bis zu 250 Personen tätig, und nur 0,1 Prozent der Unternehmen zählen zu den großen Playern des Segments. Speditionen sollten sich auf bekannte Erfolgsfaktoren fokussieren: effiziente digitale Schnittstellen zu den Kunden, Einsatz der besten digitalen Branchenanwendungen und operative Exzellenz im Prozessmanagement, so Kaisers Rat.

43

Prozent Marktanteil erreicht der Ladungsverkehr als größtes Straßengüterverkehrssegment.

(Quelle: Ewald Kaiser, McKinsey)

Auch Girteka-CEO Jeroen Eijsink bekräftigt die Bedeutung leistungsfähiger IT-Systeme. Der Chef einer der größten europäischen Transportflotten sieht die digitalen Systeme im Kontext des EU-Green-Deals und der damit verbunden Transformation. „Unsere Flotte wird durch die neuen EU-Regeln immer teurer, denn sie bedeuten einen gewollten und stetigen Produktivitätsverlust“, betont Eijsink. Girteka investiere deshalb in IT, um die Komplexität der Transportsteuerung bewältigen zu können.

Der ehemalige DHL-Manager lobt, dass mit den ESG-Vorschriften (Environmental, Social, Governance) der Europäischen Nachhaltigkeitsrichtlinie CSRD viel Sinnvolles verbunden sei. Durch die Wirtschaftslage bedeuteten sie allerdings auch für Girteka derzeit eine Belastung. Die Transformation sei angesichts des längst spürbaren Klimawandels unausweichlich, „aber wir gucken alle, wer den ersten Schritt tut“.

Sozialvorschriften als Wettbewerbsvorteil

Girteka profitiere von seiner Fähigkeit zu skalieren: „Wir haben die Fahrzeuge, und wir haben die Fahrer.“ Das Unternehmen rekrutiere das Fahrpersonal in Kasachstan, Kirgistan und Weißrussland selbst und stelle jede Woche zwischen 50 und 60 Fahrer ein. Die neuen Sozialvorschriften sieht er mittelfristig als Wettbewerbsvorteil: Für Unternehmen, die in der Krise Fahrzeuge abgebaut hätten, seien die Hürden zum Wiedereintritt in den Markt dadurch höher geworden.

Auch für Barna Erdélyi, Vorstandsmitglied des börsennotierten ungarischen Logistikdienstleisters Waberer’s, der zu den größten osteuropäischen Transportunternehmen zählt, bedeuten Digitalisierung und die Fähigkeit zur Skalierung Wettbewerbsvorteile im hart umkämpften Transportgeschäft. Der Komplettladungsmarkt habe allerdings durch Kostendruck und daraus resultierende niedrige Margen seine Balance verloren, der Kapazitätsabbau sei zu weit vorangeschritten. „Wenn die europäische Wirtschaft wieder anspringt, liegt die Zahl der verfügbaren Fahrzeuge weit unter der Nachfrage“, warnt der ungarische Logistikmanager.

Dieser Kreislauf habe sich im vergangenen Jahrzehnt viermal wiederholt. Deshalb werde es für Waberer’s immer wichtiger, die eigene Kontraktlogistiksparte auszubauen. Strategisches Ziel sei es, bis 2027 zum Marktführer in der Region aufzusteigen. Dafür wolle Waberer’s weitere Standorte in Polen, Tschechien, der Slowakei und Serbien eröffnen.

Sennder-Chef David Nothacker gab Einblicke in die mittelfristigen Planungen seines Unternehmens. (Foto: Daniel-Koebe)
Sennder-Chef David Nothacker und Waberer’s-Vorstand Barna Erdélyi gaben Einblicke in die mittelfristigen Planungen ihrer Unternehmen. Die Experten diskutierten den Marktstatus kontrovers mit Moderator Lutz Lauenroth. (Foto: Daniel-Koebe)
Waberer’s-Vorstand Barna Erdélyi gab Einblicke in die mittelfristigen Planungen seines Unternehmens. (Foto: Daniel-Koebe)
Referenten wie Timocom-Sprecher Gunnar Gburek (Mitte) waren auch in den Pausen umlagert. (Foto: Daniel-Koebe)
Elvis-Vorstand Jochen Eschborn empfahl Ladungsspediteuren, sich digital zu vernetzen. (Foto: Daniel-Koebe)
Der Kölner Logistikmanagement-Professor Thomas Krupp empfahl Ladungsspediteuren, sich digital zu vernetzen. (Foto: Daniel-Koebe)
Die Frachtenbörse Timocom, Logistikdienstleister LIT, der CO2-Kalkulator Waves, die Transport Management Plattform Cargonexx stellten praxisbewährte Lösungen vor. (Foto: Daniel-Koebe)
Neocargo-Vorständin Larissa Eger verriet, in welchen Bereichen mittelständische Speditionen noch Hilfe brauchen. (Foto: Daniel-Koebe)
Zahlreiche Fragen aus dem Publikum forderten die Experten heraus. (Foto: Daniel-Koebe)
Girteka-CEO Jeroen Eijsink stellte die Strategie 2023 des litauischen Großflottenbetreibers vor. (Foto: Daniel-Koebe)

Im Transportgeschäft werde es zudem darauf ankommen, den Wertbeitrag für seine Kunden zu vergrößern. Ähnlich wie der Girteka-CEO sieht auch Erdélyi die Nachhaltigkeitsvorschriften dabei als potenziellen Wettbewerbsvorteil für den großen Dienstleister. Waberer’s verfüge über die erforderlichen Strukturen, Transparenz zu schaffen und Risiken zu managen.

Die eigene Digitalplattform ist nach Ansicht von Sennder-Gründer und CEO David Nothacker die Grundlage für operative Exzellenz im Transportgeschäft der Spedition. Die Berliner Digitalspedition hatte im August die Übernahme des europäischen Transportgeschäfts des börsennotierten US-Logistikkonzerns C.H. Robinson bekanntgegeben. „Damit verdoppeln wir unseren Umsatz auf 1,4 Milliarden Euro“, verrät Nothacker; in der neuen Konstellation steigt Sennder in die Top 10 der größten europäischen Speditionen auf.

„Wir fokussieren auf die Cost to Serve: Wie viel Zeit kostet es uns, eine Sendung zu managen“, beschreibt der Sennder-Gründer die Motivation zur Automatisierung des Transportgeschäfts. Das Frachtführerportal des Unternehmens habe seine Effizienz in der Steuerung des Ladungsgeschäfts für die italienische Post bewiesen. Durch Standardisierung und Automatisierung sei das Geschäft inzwischen fünf- bis sechsmal produktiver als zuvor. Das bestätige auch der wirtschaftliche Erfolg in Italien mit 250 Millionen Euro Umsatz im Geschäftsjahr 2023 bei einem EBITDA von 10 Millionen Euro.

Mehr Nutzungszeit für die Fahrzeuge

Für den Mittelstand sei es angesichts solch effizienter großer Wettbewerber kaum noch möglich, mit Komplettladungstransporten Geld zu verdienen, behauptete Jochen Eschborn, Vorstandsvorsitzender der Elvis AG. Steigende Fahrergehälter, durch den Fahrermangel bedingte Standquoten von 10 Prozent in den Flotten, Preisdruck durch permanente Markttransparenz und osteuropäische Frachtführer und steigende Mautkosten, während die Lkw nur zu 30 Prozent ausgelastet sind: Durch diese Faktoren habe sich der Deckungsbeitrag des Fuhrparks auf 8 bis 10 Prozent vermindert.

Als Lösung dieser Dilemmata hat der Ladungsverbund ein Netzwerk für Begegnungsverkehre ins Leben gerufen, das die Nutzungszeit der Fahrzeuge verdoppelt und die Fahrer zum Schichtende an den Firmensitz zurückbringt. Speditionsübergreifender Trailertausch, eine zentrale IT-Lösung zur Kommunikation und Statusverfolgung sowie ein ausgeklügeltes Tarifsystem mit interner Verrechnung und Ausgleich für Unpaarigkeit und Umwege ermöglichen laut Eschborn, das Potenzial der Lkw als Produktionsressource besser auszuschöpfen. „Die Rückladungssuche entfällt“, unterstreicht der Elvis-Chef einen weiteren Vorteil des Systems.

Aus Sicht des Kölner Logistikmanagement-Professors Thomas Krupp schlägt der Verbund damit eine lohnenswerte Richtung ein. Digitale Vernetzung biete den Ladungsspediteuren zahlreiche Optionen, ihre Komplexitätskosten zu reduzieren. Als prägnantes Beispiel nennt er die Verpflichtung zu Reporting und Compliance, der die Dienstleister als Teil der Suppy Chain ebenfalls unterliegen. Zeit und Geld spare auch die Nutzung des elektronischen Frachtbriefs.

Der digitale Wandel sei trotz seiner großen Potenziale keine leichte Aufgabe: „Schließen Sie sich zusammen, das sind Aufgabenstellungen, die man nicht allein bewältigen kann“, appelliert Krupp an die Dienstleister und nennt Beispiele dafür, mit wem sie sich vernetzen können: offizielle Akteure wie Behörden, der Zoll und andere staatliche Organe, Parkplatzanbieter, Lkw-Werkstätten, Ladestationen für Elektrofahrzeuge, Versicherungen, andere Verkehrsträger in kombinierten Verkehren, Versicherungen und sogar die anderen Verkehrsteilnehmer.

„Es ist wichtig, die digitale Vernetzung systematisch zu denken, die digitale Strategie sollte deshalb unmittelbar an der Geschäftsstrategie hängen“, betont der Hochschullehrer. Für Transportdienstleister werde es automatisch zum Erfolgsfaktor, sich tiefer in die Wertschöpfungskette der Kunden zu integrieren. Die Unternehmen sollten sich deshalb unbedingt mit dem digitalen Reifegrad ihrer Organisation auseinandersetzen und Veränderungen durch systematisches Change Management begleiten. „Stellen Sie die erforderlichen Ressourcen bereit und suchen Sie sich die passenden Partner“, empfiehlt Krupp.

Die neuen Sozialvorschriften können für uns zum Wettbewerbsvorteil werden Jeroen Eijsink, Chief Executive Officer Girteka
Durch Begegnungsverkehre entfällt die Rückladungssuche. Jochen Eschborn, Vorstandsvorsitzender Elvis AG
Es ist wichtig, die digitale Vernetzung systematisch zu denken, sie gehört zur Geschäftsstrategie. Prof. Thomas Krupp, Technische Hochschule Köln
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